Progressives Denken: Bilder und Begriffe – Feingefühl statt Fettnäpfchen

Erfordert die Kreation eine Intellektualisierung? Und brauchen Kreative mehr Sensibilität für Moral und Ethik? Oder sind Tabubrüche unumgänglich, um beachtet zu werden?

Ein Aufreger sind nackte Brüste nicht mehr. Dass Adidas es zu einem Echo geschafft hat, liegt am Empörungsappetit und der Darstellung des unperfekten weiblichen Körpers. Dieser Response war gewünscht. Unbeabsichtigt war der Shitstorm auf den „junge Dame“-Kommentar eines Redakteurs im ZDF-Morgenmagazin. Mit “junge Dame“ war die Außenministerin Anna-Lena Baerbock gemeint, die die Frontlinie in der Ukraine besuchte. An der Wortwahl erkennt man den (fehlenden) Respekt.

Bilder und Begriffe können Reaktionen hervorrufen, die so nicht gewollt sind. Diese Erfahrung machte jüngst die Techniker-Krankenkasse mit einem Spot, der auf die Hodenkrebs-Früherkennung aufmerksam machte. Der Clip erinnert bewusst an einen Pornofilm und die Darstellerin arbeitet angeblich in diesem Film-Genre. Die Reaktionen zeigen, dass mancher sich in seinen Moralvorstellungen verletzt fühlt.

Dieses Stichwort erinnert an den Bericht über eine Metastudie, die eine Korrelation zwischen Kreativität und unethischem Verhalten gefunden hat. Demnach neigen sehr kreative Menschen eher dazu, sich unmoralisch zu verhalten. Nachzulesen im Bericht vom 11.1.2022 „Kreative Menschen handeln öfter unmoralisch, zeigt eine Studie …“ bei businessinsider.de. Schade, dass in diesem Bericht Ethik und Moral synonym gesetzt werden. Dabei bezeichnet Ethik eher die übergreifenden, zeitunabhängigen Werte, während sich Moralvorstellungen von Generation zu Generation und von Kultur zu Kultur verändern können.

Wer in einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ (Georg Franck, 1998) auffallen will, sollte sich reflektiert und seriös mit Tabubrüchen auskennen und sein eigenes Wertesystem wie auch das anderer Menschen verstehen. Dafür braucht es eine Orientierung, die den Kreativen hilft, nicht ins Fettnäpfchen zu treten – siehe „junge Dame“-Bemerkung. Gerade Kreative sollten Moralvorstellungen hinterfragen, allerdings immer mit dem Respekt vor dem Anderen – Feingefühl anstelle einer Hauruck-Mentalität.

Mit einem solchen Mindset und dem dazugehörigen Wissen lassen sich Tabubrüche konzipieren, ohne Shitstorms hervorzurufen – siehe Adidas und ihre Brüste-Kampagne. Und wer als Kreativer demnächst gestaltend an der gesellschaftlichen Transformation beteiligt ist, sollte den Unterschied zwischen Moral und Ethik kennen und insbesondere ethische Grundsätze anwenden können …

Bildquelle: PhotoDisc