Von „Blauen Briefen“, dem Schuss vor den Bug und von den Werten unserer Kultur

Wer von Ihnen kennt noch die „Blauen Briefe“? Als Schüler bekam ich bzw. meine Eltern mit dem Halbjahreszeugnis einen solchen Brief ausgehändigt – Inhalt: Versetzung gefährdet! Dieser Schuss vor den Bug traf und zeigte Wirkung. Ich bin  – trotz zweier Kurzschuljahre – nicht sitzen geblieben. Der Grund für meine schlechten Noten waren Faulheit und Fußball, Selbstüberschätzung und Respektlosigkeit als „Pubertier“.

Ich denke, dass dieser Form von Dummheit und Verblendung einfach die Grenzen aufgezeigt werden muss – bis hierher und nicht weiter! Und damit die Verwarnung auch die nötige Aufmerksamkeit erhält, braucht sie das Drama und die Übertreibung. „Die Grenzen des Wachstums“ hatten 1972 davon beides auf der Basis von faktischen Argumenten und plausiblen Annahmen. Möglicherweise wurde von den Autoren damals auch „mit dem Sargdeckel geklappert“. Und offenbar waren Prognosen zum Ende diverser Rohstoffe nicht zutreffend.

Offen gestanden, ich finde das auch nicht grundsätzlich problematisch. Wichtig ist die Essenz der Trends und die zeigt nach wie vor auf eine absehbare Endlichkeit der Ressourcen. Im übrigen tut sich die Weltgemeinschaft keinen Gefallen, wenn sie weiterhin fossile Energien einsetzt und damit den Klimawandel forciert. Oder wenn der Abbau der Rohstoffe im Grunde einer Ausbeutung der betreffenden Bevölkerung des jeweiligen Landes gleichkommt. Hätten wir dennoch die damaligen Aussagen ernst genommen und auch danach gehandelt, dann wären wir heute nicht in einer solchen drastischen Abhängigkeit vom Erdgas, das wir aus Russland beziehen.

Unsere Respektlosigkeit vor der Natur, unsere Faulheit bei der sogenannten Energiewende und unsere Selbstüberschätzung in der politischen Vorausschau fallen uns gerade auf die Füße. Ganz abgesehen von jetzt schon spürbaren und demnächst zu erwartenden Konsequenzen des Klimawandels. Ja, natürlich gehöre ich auch zu denen, die – wie der Autor des Artikels – immer auf “Erfindergeist, Kreativität und Fortschritt“ setzen. Aber ich würde nicht mehr nur und alles auf diese Karte setzen! Durch unseren ungeheuren Wohlstand hat sich in der Gesellschaft so etwas wie eine Phobie vor dem Neuen und Veränderungen breit gemacht. Wenn die aktuelle Situation (Krieg in der Ukraine) überhaupt etwas Gutes hat, dann die Erkenntnis, dass wir gerade einen „Blauen Brief“ erhalten haben und jetzt für die Transformation alle unsere Kräfte und Kreativität in der Krise zu beschleunigen haben.

Es gilt zu verdeutlichen, dass die Werte unserer Kultur nicht korrumpierbar sind …

Link:https://www.spiegel.de/wirtschaft/grenzen-des-wachstums-das-schauermaerchen-von-der-geklauten-zukunft-a-9bc9f224-cc41-474d-86bd-eebfcc8f27d6

Bildquelle: PhotoAlto (James Hardy)