Das sind die alltäglichen Momente einer sublimen Surrealität, die ich liebe! Die SZ heute (19.2.23) morgen startet online mit einem Beitrag, dessen Überschrift „Die Welt sortiert sich neu“ lautet und dessen Key Visual zwei Soldaten im Getreidefeld zeigt. Direkt neben den Soldaten blinkt ständig die blaue Werbung eines Discounters auf und will mir den billigen Fleischsalat im Angebot verkaufen. Da streiten sich „Krieg und Geopolitik“ mit Kokakola und Grünkernklopsen, Weltschicksal mit Schweinebauch-Werbung und wollen meine begehrte Aufmerksamkeit in Form monetärer Zuwendung. Interessant, mit welcher Gleichzeitigkeit das Eine mit dem Anderen in Gemeinschaft lebt und dabei offenbar nichts miteinander zu tun hat. Das lässt sich medientechnisch zwar erklären, fraglich bleibt für mich, da beides simultan existiert, ob nicht am Ende beim Rezipienten Gleichzeitigkeit mit Gleichwertigkeit synonym gesetzt wird? Erklärung ja, aber auch Aufklärung? Liefert doch eine solche Konstellation ja auch gleich die kognitive Entlastung für uns mit.
Kognitiv herausfordern sollte uns allerdings die Frage, ob es sich bei dem FAZ-Interview um einen Weckruf oder um einen Nachruf handelt. Es geht um die Innovationsfähigkeit Deutschlands und damit um die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Wenn der Vorsitzende der Expertenkommission für Forschung und Innovation der Bundesregierung, Prof. Dr. Uwe Cantner, uns bescheinigt, dass bei den Zukunftstechnologien andere Länder sehr viel weiter als wir sind, dann frage ich mich, ob und welche Konsequenzen daraus gezogen werden? Wahrscheinlich keine, denn schon morgen wird eine andere Sau durchs Dorf getrieben und von ChatGPT unverbindlich, aber wortreich kommentiert. Denn schließlich weiß das Programm am besten, wo es irrlichternd lang geht. Cantner beklagt, dass wesentliche Elemente in der neuen Zukunftsstrategie des Bundesministeriums für Forschung einfach fehlen. Aber vielleicht ist das ja der Trick! Und wir sind als „konstruktive Rezipienten“ gefragt, die für sich ihren Teil der Geschichte erfinden und diesen mit dem Vorhandenen verknüpfen. Am Ende erhält dann jeder das, was er will. Dann passt zwar nichts mehr zusammen, aber man kann Cantners Empfehlung aufgreifen und beim Bundeskanzleramt den „Zukunftsausschuss für Innovation und Transformation“ einrichten. In der Hoffnung, dass sich mehr ressortübergreifende Projekte und Programme und ein Ende des Silodenkens einstellen. In der Theorie kann ich mir durchaus eine solche interdisziplinäre, schon progressive Performance unserer Politik vorstellen. Aber in echt?
Ehrlich, ich bin diese medialen Ablasszettel leid, weil immer etwas beklagt wird, wofür niemand sich verantwortlich fühlt, und am Ende die Klage folgenlos bleibt. Übrigens, schon vor der letzten Bundestagswahl habe ich mir hier auf Linkedin ein Ministerium für Innovation, Transformation und Nachhaltigkeit gewünscht. Auch surreal …
