Die dunklen Stellen der Sonnenseite

Immer wenn ich im Stau auf der Autobahn stehe und sich einfach nichts bewegt, kommen mir merkwürdige Gedanken. So dachte ich einmal über dieses Geschwisterpaar nach, das da Recht und Gerechtigkeit heißt. Scheinbar haben sie beide dieselben Gene, müssen sich aber im Laufe ihres Älterwerdens unterschiedlich sozialisiert haben. 

Vielleicht sollte ich erklären, warum ich im Stau stehe. Es hat geschneit und einer dieser großen LKWs hat sich quergestellt. Über den Verkehrsfunk wurde gewarnt und den LKWs geraten, die Parkplätze anzufahren und abzuwarten, bis die Wetterverhältnisse sich geändert haben. „Mein“ Stau war inzwischen mehrere Kilometer lang und dauerte an. Und so langsam entwickelte sich bei mir Unmut über den Fahrer respektive die Spedition, auch wenn auf der Plane stand, dass man für meinen Kühlschrank ja schließlich unterwegs sei. Ich diskutierte mit mir, ob sich dieser stundenlange Stau hätte verhindern lassen, wenn alle Autofahrer – also Stausteher – ein Recht auf Entschädigung wegen „geklauter“ Lebensqualität hätten? Und der Staat könnte auf Schadenersatz klagen, weil die laufenden Motoren der Autos – die ja im Stau stehen und geheizt werden müssen – die Umwelt einmal mehr verpesten? Oh Mann, dachte ich bei mir, du und dein Gerechtigkeitsgefühl kommen auf echt schräge Ideen! Zu viel von Robin Hood geträumt…?

Seit mich Klaus Kofler von der Future Design Academy zum Future Talk eingeladen hat, denke ich öfter über den Begriff der Verantwortung nach. Denn das Thema der Veranstaltung im November 2023 lautet: „Zur Verantwortungslosigkeit von Marken“. Ein Thema, das mich als Designer und Vertreter einer eher unpolitischen und nicht durch wirtschaftskritische Aussagen auffallenden Spezies herausfordert. Und nebenbei wird meine Wahrnehmung verstärkt auf Themen gelenkt, die die dunklen Stellen zeigen von „On the Sunny Side of the Street“. So fiel mir dieser Artikel in der SZ auf, der genau die Schnittstelle zwischen versteckter Verantwortungslosigkeit und offener Verarschung thematisiert. Wenn Zigarettenwerbung suggeriert, dass Rauchen schlank und schön macht und auch noch vom Joch der Männer befreit, dann ist das unverschämt und anmaßend und verstört Menschen wie mich. Aber auch Begriffe wie Pinkwashing zeigen die Kluft zwischen Recht und Gerechtigkeit. Wenn schamlos berechtigte Sorgen von Menschen werblich missbraucht werden, ist das nach meinem Gefühl moralisch unangemessen und rechtlich wenigstens zweifelhaft. Genauso zynisch ist das Carewashing, das strukturell problematische Folgen einer sozial und ökonomisch unausgeglichenen Situation kaschiert und Unternehmen als soziale Problemlöser präsentiert. Der Artikel beschreibt aber auch die strategischen Versuche, seriöse Wissenschaft und ihre Erkenntnisse zu diskreditieren. Lesenswert!

Bleibt die Frage, ob in manchen Teilen der Wirtschaft auch die Verantwortung für gesellschaftliche Werte zum Outsourcing gehört?

Link: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/marketing-strategien-konzerne-gesundheit-1.5769356

Bildquelle: PhotoAlto (James Hardy)