Das Leben erscheint einem oft wie der raffinierte Plot eines verwickelten Krimis – nichts ist, wie es scheint. Und wer ist Freund, wer ist Feind? In diesem alltäglichen Verwirrspiel verfolgt man immer wieder neue Spuren der Auflösung, entdeckt kleinere oder größere Mogeleien und sucht die möglichen Täter dazu. Aber warum fallen wir oft allzu leicht auf die falsch gelegten Spuren zu Verdächtigen herein? Warum lassen wir uns von eleganten und eloquenten Bösewichtern blenden? Und warum misstrauen wir den schroffen, abweisenden Charakteren von Einzelgängern und vermuten, dass die etwas zu verbergen haben? Wahrscheinlich, weil die Plots der Krimis die alten, tief in uns sitzenden Klischees bedienen. Vielleicht sind wir aber auch viel zu leichtgläubig, zu vertrauensselig oder wollen einfach in unseren Vorurteilen nicht gestört werden. Jeder gute „Who done it“-Krimi liefert dann am Ende die Überraschung, dass der bislang am unauffälligsten Gebliebene der Täter ist, und seine Motive werden aufgeklärt.
Und wie verhält es sich hier bei unserem kleinen Wochenmarkt-Krimi? Vordergründig betrachtet ist alles klar – der billige Käse vom Discounter wird als Feinschmeckerprodukt deklariert und zum Premiumpreis der solventen Kundschaft verkauft. Was zwar legal ist und in dieser Form nicht strafbar, erscheint auf den ersten Blick dennoch moralisch verwerflich. Hier scheint jemand mit Chuzpe am Werk zu sein. Wenn man bedenkt, dass viele der Produkte beim Discountermarkt eigentlich aus den Produktionen der entsprechenden Markenunternehmen stammen, stellt sich eine solche Dreistigkeit etwas anders dar. So könnte es doch tatsächlich sein, dass dieser preisgünstige (um nicht das Wort billig zu verwenden) Käse eigentlich ein Markenprodukt ist und unter einem anderen Label auch zu einem höheren Preis über den Ladentisch gegangen wäre. Oder ist es nur ein geschlossener Kreis – vom ursprünglichen Markenprodukt ins Discounterregal und von dort auf den Wochenmarkt wieder mit (einem höheren) Feinschmeckerpreis ausgezeichnet?
Wenn der SZ-Bericht stimmt und meine dazu entwickelten Vermutungen zutreffen, dann muss die Frage gestattet sein, was das alles über uns als Kunden aussagt. Sind wir in der Breite eventuell gar nicht mehr in der Lage, inhärente Produktqualität zu beurteilen? Brauchen wir das Label, um (hohe) Qualität zu erkennen? Immerhin ist der Schwindel auf dem Wochenmarkt in Bayern aufgeflogen. Sind wir inzwischen soweit, dass wir der Marke mehr vertrauen als unseren eigenen Geschmacksnerven, sprich Bewertungskriterien? Und tragen wir nicht eine Mitschuld, wenn wir unsere Entscheidungsverantwortung auf das Etikett bzw. das Werbeversprechen delegieren? Gibt es tatsächlich noch eine eindeutige Trennung zwischen Täter und Opfer? Haben sich nicht längst in unserer Überflussgesellschaft die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischt?
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