Wer hat meinen Kopf so ausgeweidet? Zwar lebe ich, aber ich fühle mich meiner wesentlichen Organe beraubt, die mir über Jahre das sichere Gefühl gaben, das Wesentliche dieser Welt zu verstehen. Auch wenn das schon damals mehr das Prinzip Hoffnung als objektive Erkenntnis war. Aber ich konnte Vorlesungen ohne Zweifel halten. Und selbst beim Griechen habe ich sorglos einen Grillteller bestellt und beim Ouzo „kluge“ Kommentare abgegeben. Gut, Vorlesungen muss ich nicht mehr halten und mein Cholesterinspiegel rät zu mehr Salat. Geblieben ist dieses unstillbare Verlangen nach Verstehen. Ich will jetzt kein Sokrates-Zitat – so weise es auch sein mag -– bringen, ich will nur laut denken und leise altern.
Die Head „Hat die Zukunft ihren Zenit überschritten?“ soll Aufmerksamkeit finden und selbstverständlich erwarte ich ein entschiedenes Nein. Dennoch: Ich habe meine Zweifel an der Zukunft! Nicht an ihr selbst, sondern an unserem Umgang mit ihr. Wir behandeln sie nicht respektvoll und nicht mit der angebrachten Würde, sondern so nachlässig wie unsere Gesundheit – im Notfall wird die Medizin unseren Körper schon wieder reparieren. Kann sein, aber ich glaube nicht mehr an diese Form der Vertrauensseligkeit.
Zukunft: Die Gesellschaft braucht eine engagierte und leistungsfähige Generation Z und unterstellt ihr bestenfalls Hedonismus und schlimmstenfalls Faulheit. Blödsinn! Unsere Demokratie wackelt und Satire soll politisch korrekt werden?! Ein Widerspruch in sich! Handelsblatt, das Zentralorgan der Wirtschaft und der Besserverdiener macht sich Sorgen um die zunehmende Diskrepanz zwischen Superreich und Schweinearm? Mit Recht! Das Regelungsbedürfnis zu den Entwicklungen der KI (Künstlichen Intelligenz) wird laut artikuliert, obwohl wir in der Digitalisierung immer noch erheblichen Nachholbedarf haben? Gas geben und bremsen in einer Aktion? Apropos, Gas geben. Wieso diskutieren wir das Tempo 30 in den Städten und erklären das Tempolimit auf der Autobahn zur Heiligen Kuh? Denkverbot? Uns fehlen Pflegekräfte! Ach ja, die akquirieren wir im Ausland, während hier an den Wänden „Ausländer raus!“-Graffitis die Städte und Dörfer verschönern?
Die Liste der existenziellen Widersprüche, die mich beschäftigen, ist lang. Ob die Zukunft ihren Zenit überschritten hat? Nein, vielleicht aber die menschliche Vernunft. Das Denken und das davon abhängige Handeln scheinen immer impulshaltiger, dafür weniger besonnen, abwägend stattzufinden. Das Bedürfnis nach Rationalität scheint durch gefühlsduseliges „Lebe deinen Traum“ verdrängt zu sein. Individueller Vorteil ist wichtiger als sozialer Konsens. Brauchen wir Biotope der Vernunft? Weniger populistische Sprüche und mehr produktiveres Gedankengut, weniger pseudo-politisches Geplänkel und dafür mehr programmatische Konzepte, weniger plakative „Wahrheiten“, aber mehr philosophische Weisheiten. Mehr Vernunft!
