Eine Form der Selbstermächtigung

Wir leben in Zeiten, in denen Selbstüberschätzung zum guten Ton gehört. So kann man eine neu gegründete politische Partei nach sich selbst benennen, ohne groß aufzufallen. Auch kann man als Bundesregierung eine deutliche Wahlschlappe erfahren und dennoch so weiter machen wie bisher – ohne Selbstkritik und ohne Kursänderung. Und man muss lesen: „Der Tesla-Chef hat sich im Streit über sein 56 Milliarden Dollar schweres Gehaltspaket durchgesetzt.“ (HB 14.6.2024) Noch Selbstüberschätzung oder schon Selbstverherrlichung?

Deshalb bin ich heute zurückhaltender mit meiner früheren Aussage „Was Sie brauchen, ist eine gesunde Portion Größenwahn!“. Damit habe ich Design- und Management-Studenten motiviert, mehr an sich selbst zu glauben, gerade weil Planungen von Innovationen immer das Risiko des Scheiterns in sich tragen. Hinter diesem „größenwahnsinnigen Spruch“ steckt die Erkenntnis, dass in allen Entwicklungsprozessen Entscheidungen getroffen werden müssen, die nie vollständig abzusichern sind und die Persönlichkeiten brauchen, die sich mehr zutrauen als manch andere Menschen im professionellen Kontext.

In dem von mir praktizierten Projektstudium in Kombination mit dem Lehransatz des „Forschenden Lernens“ sollen die Studierenden die Potenziale ihrer Kreativität erfahren, um Neues in die Welt setzen zu können. Die wenigsten Studierenden rufen sofort „Hurra“, wenn sie mit meiner Erwartung konfrontiert sind, sondern scheinen zunächst irritiert und abwartend. Was ein Zeichen cleverer Vorsicht ist. Im Laufe des Semester-Projekts merken sie, dass sie einen Modus Operandi internalisieren, der durch spezifisch generiertes Wissen das Delta zwischen Problem und Lösung füllt. Es geht um Problemlösungskompetenz, die nicht auf Routinen, sondern auf neuen transdisziplinären Vorgehensweisen basiert, die aus komplexen Aufgabenstellungen nachvollziehbare und akzeptable Lösungen kreieren.

Wenn jetzt Forscher herausgefunden haben, dass es Berufe gibt wie beispielsweise Berater und Unternehmensgründer, für die „etwas Selbstüberschätzung“ dazu gehört (SZ 12.6.2024), dann lässt sich dies auch auf Professionen im Design, Innovationsmanagement und in der Zukunftsgestaltung übertragen. Gänzlich schädlich wäre das Impostor-Phänomen, das so genannte Hochstaplersyndrom, bei dem Menschen übermäßig an ihrer Kompetenz zweifeln. Gebraucht wird dagegen ein professionell-kreatives Selbstverständnis als Basis für ein persönliches Selbstbewusstsein, das eine gewisse Selbstermächtigung im Umgang mit neuartigen Problemen schafft. Eine Gesellschaft, die sich in einer großen Transformation sieht, braucht Menschen, die keine Scheu vor Aufgaben haben, die sie anfangs nicht im Detail überblicken. Und die Zuversicht haben, am Ende eine adäquate Lösung zu finden.

Neben den eigenen kreativen Kompetenzen sind auch die Fähigkeiten zur Kollaboration und zur Kommunikation gefragt. Keines dieser verwickelten und bösartigen Probleme, wie Rittel sie nannte, lässt sich durch Individuen lösen. Es sind immer Teams, die gemeinsam komplexe Konzepte für intelligente Innovationen entwickeln.

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