Kreativität braucht Konflikte und Kontroversen

Momentan kursiert eine rhetorische Figur, mit der ich wenig anfangen kann. „Was macht das mit dir?“ ist für mich eine Suggestiv-Frage, die auf einer pseudo-psychologischen Oberfläche tänzelt. Für flach halte ich diese Frage, weil sie nicht offen ist und ein „Nichts!“ gar nicht vorsieht. Wenn der Befragte tatsächlich ein ernsthaftes Problem hat, wird er es nicht vor der Öffentlichkeit ausbreiten. Und wenn es eh nur Small Talk sein soll, dann sollte man das Interesse am Gegenüber nicht heucheln. 

In meiner professionellen Welt existiert Kreativität, um Probleme zu lösen. Hier stehen nicht die Befindlichkeiten der Beteiligten im Vordergrund, sondern es geht um die Lösung echter, realer Probleme, für die es bis dato noch gar keine wirtschaftliche, technische oder gar gesellschaftliche Lösung gibt. Die Beteiligten stehen in der Regel unter hohem Druck, weil fast immer hohe Investitionen, viele Arbeitsplätze und eine entsprechende volkswirtschaftliche Relevanz im Raum stehen. Das Team von Höchstleistungs-Profis hat weder die Muße noch die Zeit, sich mit individuellen Befindlichkeiten zu befassen. Oft geht es um das Krisenmanagement struktureller Probleme und die Entwicklung systemischer Innovationen.

Wir reden hier nicht über Aufgaben, die der Komplexität einer neuen T-Shirt-Kollektion entsprechen, sondern über Projekte, die Teil der großen Transformation sind. Oft wird versucht, diese Kategorie der Projekte zu verstecken oder zu verniedlichen, um notwendige Systemveränderungen zu verhindern. Beispiel: Verkehrsentwicklung in den Städten. Und je größer ein solches Problem ist, umso mehr steigt der Aufwand, es zu identifizieren und zu kommunizieren. Hier sind intelligente Analysestrategien anzuwenden. Es braucht auch gerade kollidierende Meinungen und konfliktäre Interpretationen der Analysen, die nicht in Harmonie, sondern durchaus in konstruktiver Provokation diskutiert werden. Die kontroversen, teilweise auch diametralen Positionen der Teammitglieder sind notwendig für die Genese von Zukunftswissen und das Design völlig neuer Konzepte. Diese sind dann die Summe einer komplexen intellektuellen Auseinandersetzung aller Beteiligten. Damit bleibt das Team auch im Zentrum seiner Aufgabe und rutscht nicht in die Peripherie ab. 

In diesen Teams arbeiten Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten. Es sind nicht die aalglatten Karrieristen, sondern Menschen, die mit ihrer Kompetenz zu den Besten gehören – egal ob sie aus Familien mit Migrationshintergrund stammen oder das erste Kind mit akademischem Abschluss sind, ob sie introvertiert und voller Selbstzweifel, ob sie Autodidakten oder Studienabbrecher sind. Diese Menschen können Konflikte aushalten, weil sie die großen Probleme unserer Zeit tatsächlich lösen wollen … Was das mit einem macht? Stolz und selbstbewusst!

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