Nein, Pessimismus gefährdet nicht die Demokratie. Auch wenn die „Zeit“ das anders sieht („Da geht noch was“, zeit.de 8.9.2024). Nach meiner Einschätzung haben wir viel zu viele Optimisten, die meinen, dass immer alles gut geht. Wenn ich mir den Zustand der Welt oder auch nur den Deutschlands anschaue, dann empfinde ich dieses „Go easy, go lucky“ geradezu als Provokation. Nein, ich denke es ist höchste Zeit, sich mit professionellem Pessimismus zu befassen. Und der Optimismus sollte sich jetzt erst einmal raushalten …
Wenn ich mit Herz-Rhythmus-Störungen zum Arzt gehe, möchte ich keine Floskeln wie „Alles wird gut“ hören. Ich erwarte eine sorgfältige Diagnose und eine seriöse Therapie. Für mich sind gute Ärzte professionelle Pessimisten, denn sie sollten immer wissen, dass sie sich in ihrer Diagnose vertun können und dass die Therapie nicht anschlägt. Und wenn dem so ist, wird korrigiert und neu justiert. Natürlich habe ich als Patient auch meine Aufgaben zu erledigen und mich nicht auf den „Reparaturauftrag“ allein zu verlassen.
Im Gegensatz zu den meisten Human-Patienten braucht das kranke Deutschland keine punktuelle Reparatur, sondern eine tiefgreifende Innovierung. Das ist mit Optimismus nicht mehr zu machen. Nehmen Sie die Bahn oder die Bildung. So wie man sich angesichts des Desasters einen besseren Bahn-Chef wünschen könnte (“Die Republik hat einen besseren Bahn-Chef verdient“, sueddeutsche.de 25.7.2024), ließe sich dieser Wunsch auch auf das Bildungssystem und seine MinisterInnen übertragen. Immerhin heißt es: „Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“ (spiegel.de 9-9-2024). Wenn das stimmt, haben sich auch offenbar Bahn und Bildung „geschäftsschädigend“ verhalten.
Ein professioneller Pessimist leidet grundsätzlich nicht an Überschätzung – zu real ist das Scheitern! Er ist aber auch nicht verzweifelt oder gar hoffnungslos, sondern steht immer mit beiden Füßen in den Startlöchern. Diese Qualitäten zeigen sich in Kompetenzen wie kollaborative Kreativität, Wissen um Wege der Innovation und Zukunftsgestaltung. Zuhause ist er auch in wissenschaftliche / künstlerische Methoden, politischem Können und wirtschaftlichem Verständnis. Diese Qualifikation ist eine neue Art von Design. Es ist eine Designauffassung, die den Schwerpunkt in der Planung sieht und dabei auch die Abwehrkräfte integriert und den Aufbruch zum Neuen motiviert. In einem solchen Design muss das Disparate identifiziert und vernetzt werden. Seine VertreterInnen sind gut gelaunte und tatkräftige Pessimisten – kluge MacherInnen.
Ich könnte mir einen dualen, berufsbegleitenden Master-Studiengang vorstellen, der nach dem Programm des Forschenden Lernens und dem Prinzip des Projektstudiums organisiert ist. Der Studiengang hat ein inter- und transdisziplinäres Curriculum. Wer das Studium erfolgreich beendet, ist ZukunftsdesignerIn mit einem Master of Science. Die könnten dann auch bei der Bahn und in der Bildung arbeiten …