Was ist Kollaboration? Ein Versäumnis.

Den Begriff „Kollaboration“ schnappte ich als Jugendlicher in Filmen über den 2. Weltkrieg auf. Wenn Kollaborateure in von Nazi-Deutschland besetzten Ländern mit den Besatzern zusammenarbeiteten – siehe Vichy-Regime in Frankreich. Seitdem war der Begriff eigentlich für mich negativ besetzt. Erst in jüngster Zeit änderte sich das. Liegt doch der Fokus bei Kollaboration nicht in erster Linie auf dem Ergebnis, sondern auf der Schaffung gemeinsamer Arbeitsprozesse. Auch sind die Handelnden nicht Kontrahenten, sondern Verbündete einer gemeinsamen Sache. 

Kollaboration ist das, was die Bundesrepublik aktuell am dringlichsten braucht! Politik muss wirtschaftsorientierter werden und die Wirtschaft muss mit der Politik verzahnter agieren!

Die Süddeutsche Zeitung titelt unverblümt und direkt: „Rettet die deutsche Industrie!“ (21.9.2024). Das klingt alarmierend, ist aber in Anbetracht der ständig neu aufploppenden „Baustellen“ in dieser Republik angebracht. Behindert die deutsche „Verschnarchtheit“ jede Form von schnellem Eingreifen? Als erstes ist die Politik angesprochen. Regelt sie doch die Rahmenbedingungen. Und hier ist zum Beispiel der Systemwechsel von Verbrennern zu E-Autos „verkackt“ worden. Aber auch die Wirtschaft muss ihr – nach meinem Verständnis verkümmertes – politisches Gen reaktivieren. Weniger Lobbyisten mit dem Image von Türdrückern und Staubsaugervertretern, dafür mehr kreativ-konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Spitzenkräften der Industrie und der Politik. Und das ist ein klares Versäumnis der letzten Dekaden.

Wenn Politik und Wirtschaft meinen, sie hätten nichts mehr gemein, dann bilden sich eben Bubbles und Echokammern. Man redet am Ende nur noch mit sich selbst. Das führt zu Un- und Missverständnissen. Wenn demnächst wieder beispielsweise ein Autogipfel stattfindet, ist das gut. Aber ist ein Masterplan zur Neuaufstellung dieser strukturgebenden Industrie zu erwarten? Wohl nicht! Auch wenn sich die „Konzertierten Aktionen“ der 1960er Jahre nicht mehr wach küssen lassen, sollten Politik und Wirtschaft neue Formen der Kollaboration entwickeln und praktizieren. Der Wettbewerb um Bedeutung und Egos sollte nicht dazu führen, dass konstruktive Kollaboration unterlassen wird oder höchstens als Glücksfall eintritt. 

Immer wenn es um komplexe, strukturelle und nachhaltige Aufgaben geht – und das ist bei einer Industriepolitik so –, braucht es den Input aller und eine gemeinsame Vision. Die Zukunft Deutschlands braucht Übereinkunft, andernfalls rödeln alle in ihrem Hamsterrad blind weiter. Die Politik darf sich nicht länger durch Selbstbeschäftigung verzwergen und die Wirtschaft muss ihre Rolle in der Gesellschaft neu definieren. Alle zusammen müssen sich mit der Innovierung unserer Gesellschaft befassen – Zukunft braucht Selbstauskunft. 

Unsere Zukunft braucht eine Massenunterkunft für 84 Mio. Menschen – für ihre Biographien und ihre Zuversicht.

Bildquelle: Eigenes Foto