Vor ein paar Tagen wurde ich zu meiner Meinung zum Thema Social Media im Kontext einer Forschungsarbeit befragt. Die Interviewerin war eine ehemalige Studentin, die ich aus einer Reihe meiner Veranstaltungen noch ganz gut kannte. Das erleichterte das Gespräch immens, weil es die Grundlage der Vertrautheit gemeinsamer und persönlicher Erfahrungen gab. Was es in der Regel in Social Media-Kanälen nicht gibt. Hier existiert eine Welt, die von Illusionisten gemacht wird und durch Illusionen immer wieder gefüttert wird. Für mich ist das eine Blase, die nur künstliche Realitäten produziert. Im Grunde sind wir als Teilnehmer nur Element eines Geschäftsmodells mit kommerzieller Realität. Und es ist egal, ob das nun Tinder oder LinkedIn heißt.
Wenn ich – inspiriert durch das Interview – über den Begriff Realität nachdenke, dann stoße ich an meine eigenen Begrenzungen. Ganz vorsichtig versuche ich durch stille und leise Wolkenschieberei meinen Horizont ein klein wenig wieder zu erweitern. Je öfter man das versucht, desto klarer wird, dass die eigene Position zur Realität eben auch viel mit dem eigenen Radius zu tun hat, in dem man sich bewegt. Will sagen: Das Platzen einer dieser Blasen kann einen zwar aus dem Schlaf reißen, aber das Wachwerden muss man selbst leisten. Findet das überhaupt noch ausreichend statt? Oder halten immer mehr Menschen ihre eigene Blase für die absolute Wahrheit?
Diese Fragen stelle ich mir, wenn ich mir unsere Republik insbesondere ihre Politik anschaue. Ist das Politik oder kann das weg? Sind das noch PolitikerInnen oder inzwischen doch schon Illusionisten, denen anfangen die Zaubertricks auszugehen? Und was ist eigentlich mit uns, den WählerInnen, los? Haben wir den Stimmzettel mit dem Ablasszettel verwechselt? Denken wir, unsere Demokratie müsste nur mal wieder in die Inspektion?
Wenn ich zwei Formen von Realitäten unterscheide – die versteckt verschlossene und die vermeintlich erschlossene Realität –, dann stelle ich fest, dass erstere immer häufiger angesichts ihrer Komplexität auf der Strecke bleibt. Der Erkenntnis, dass es etwas gibt, was ich nicht sehe und nicht verstehe, verweigert man sich. Dies hat zu einer Form populistischer Oberflächlichkeit geführt, deren vordergründige Plausibilität frei von Zweifel ist.
Dieses Zeitgeist-Gift hat es bis in die politischen Eliten geschafft – anders kann ich mir die „Feldschlacht“ und die bizarren Begleiterscheinungen der Politik in Deutschland nicht mehr erklären. Was mich erschreckt, ist aktuell diese fatale Kombination aus unterentwickelter Professionalität und maßloser Selbstherrlichkeit. Daraus resultiert Realitätsverlust. Dies ist nicht nur das Merkmal einer Partei, sondern zieht sich wie ein Virus durch die jetzige Parteienlandschaft. Es wird höchste Zeit für einen intellektuellen Wandel, der seriöse Fach- und Sachkompetenz an die Stelle bloßer Machtgeilheit setzt. Zeitenwende muss zuallererst im Kopf stattfinden!