Eigentlich bin ich ausgemustert – also Rentner. Gesellschaftlich erwartet wird von mir das Tragen beigefarbener Outdoor-Jacken bei sofortiger Stilllegung der Synapsen. Noch verweigere ich mich dieser Rolle und genieße das „Denken ohne Mandat“. Schließlich muss ich keine Sorge mehr haben, jemandem in meinem professionellen Umfeld auf den Füßen zu stehen. Zudem kann man auch radikaler in seinen Ausdrucksformen werden, weil man nicht mehr wirklich ernst genommen wird.
Ist radikales Denken ein Privileg der Alten geworden? So wie „Bernie Sanders tourt – im Vakuum der Demokraten“ (12.3.2025, n-tv.de), der vor den Konsequenzen der Politik Trumps warnt. Der inzwischen 83-Jährige scheint der einzige Vertreter der Demokraten in den USA zu sein, der Donald Trump Paroli bietet und als „alleinstehender“ Oppositionspolitiker versucht, den Amerikanern die Augen zu öffnen. Offenbar suchen alle anderen Parteigenossen noch ihre neue Rolle. Etwas jünger, weil erst 75 Jahre alt, ist der Franzose Claude Malhuret. Aber auch er nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er über die jetzige US-Politik spricht und dabei unsere Verzagtheit kritisiert. „Französischer Senator bemängelt fehlenden Mut gegenüber Trump“ (12.3.2025, n-tv.de). Malhuret nennt Trump einen „brandstiftenden Kaiser“ und Elon Musk einen „Clown auf Ketamin“. Seine Rede vor dem französischen Senat ging daraufhin viral und verursachte ein großes Echo in den USA.
Dabei sollten die absurden Auftritte von Trump & Company nicht unsere Aufmerksamkeit binden, sondern seine eigentlichen Pläne – nämlich die Neuordnung des globalen Handels- und Finanzsystems. „Von wegen Willkür“ titelt am 11.3.2025 zeit.de und verweist dabei auf den Mar-a-Lago Accord, dessen Umsetzung die gesamte Weltwirtschaft abstürzen lassen könnte. Das Lesen des Zeit-Beitrags verursachte bei mir Gruseln. Jedoch bleibt ein öffentlicher politischer Aufschrei aus. Übersteigt ein solch grausamer Größenwahn die Fantasie? Der Welthandel soll zum Vorteil der USA neu organisiert werden. Und damit soll sich gleichzeitig die enorme US-Schuldenlast reduzieren – auf Kosten anderer Nationen und Investoren.
Auf diese Schreckensvision sind Antworten Deutschlands und Europas zu finden. Ob es schon reicht, „Ein neues Betriebssystem für Deutschland“ (7.3.2025, faz.net) zu fordern, wie es der Siemens-Chef jetzt ins Spiel brachte, ist fraglich – angesichts der von Trump offenbar mit brachialer Gewalt vorangetriebenen neuen Weltordnung. Mir scheint, dass sich hier die gesellschaftlichen Synapsen zwischen Wirtschaft und Politik neu vernetzen müssen. Die Bedrohung durch eine neue, zu unser aller Nachteil aufgestellten Weltordnung sollte Grund genug sein, um einen tatsächlichen Politikwechsel mit Nachdruck zu vollziehen. Ob unsere Gesellschaft ihre Überlebensgeister reaktivieren kann?
Überlassen wir das radikale Denken nicht nur den Alten! Das politische Handeln in Deutschland muss aus seiner Komfortzone heraus. Sonst wird das nichts!
