Das Ende der Convenience-Politik

In meinem Berufsleben habe ich zweimal den Job für ein geringeres Entgelt gewechselt. Ja, Sie haben richtig gelesen – im neuen Job verdiente ich weniger und nicht mehr. Ich habe das getan, weil sich mir die Möglichkeit für mehr Verantwortung und Gestaltungsspielraum bot. Nicht verwunderlich, dass ich fast nur auf Unverständnis stieß. Die Variante, weniger Geld und eine qualitativ anspruchsvollere Arbeit, scheint als freiwillige Option nicht normal zu sein. 

Meine Befürchtung ist, dass die gesellschaftliche Erwartung eines kontinuierlichen progressiven Wachstums von Wohlstand so internalisiert ist, dass jede Abweichung davon für Empörung sorgt. Wachstum scheint Teil unserer DNA zu sein. Wenn jetzt also das Parlament die 1-Billion-Euro-Dekade ausgerufen hat, dann steht mein Kopf im Diesseits, aber mein Herz rutscht ins Jenseits. Ja, ich habe große Demut vor einer Summe mit 12 Nullen! Und ich habe noch mehr Respekt vor den damit verbundenen notwendigen Veränderungen unseres Systems. Denn beide Schuldensummen sind nicht für die Wiederherstellung und Reparatur der alten Bundesrepublik gedacht, sondern für eine Gesellschaft, die sich samt Staat effizient und effektiv neu erfinden muss. Zwar hat Fritze es jetzt endlich rein rechnerisch verstanden, aber die deutschen Michel müssen es auch ganz praktisch umsetzen können und wollen. Wäre dies bisher eine politische Priorität gewesen, wäre der Investitionsstau unserer Infrastruktur nicht so riesig. 

Wer denkt, dass man sich hinter diesem Schuldenpaket verstecken und seine individuelle Convenience pflegen kann, irrt gewaltig. Ein Deutschland der Egoismen und Bequemlichkeiten ist künftig nicht mehr möglich. Das fängt bei den Eitelkeiten der verantwortlichen Politiker an und geht über den reformunwilligen Föderalismus bis in die Ämter der Kommunen, die oft Verwaltungsstrukturen wider besseres Wissen nicht innovieren. Und auch die Wirtschaft muss sich wieder Kreativität und Innovation auf ihre Fahnen schreiben. 

Wie kann am Ende unser aller „Billion Euro Baby“ für seine Erfolge auch Oscars einfahren? Radikale Strukturreformen sind gefordert, die vermutlich jede einzelne Biografie in Deutschland tangieren werden. Dabei werden alle mitspielen müssen, reden wir doch über Veränderung und Verzicht. Was das konkret heißt, ist bekannt: „Was getan werden muss, damit das Milliardenpaket nicht verpufft“ (13.3.2025, handelsblatt.com). Oder der Beitrag „Womit Union und SPD 34 Milliarden Euro sparen könnten“ (18.3.2025, faz.net). Der Umbau unserer Republik muss gesellschaftlich gewollt und sozial verträglich stattfinden. Sonst hat unsere Demokratie ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten.

Die Politik wird unbequeme Entscheidungen treffen müssen. Letztlich geht es darum, den Materialismus als Geschäftsmodell unserer Gesellschaft durch nachhaltiges Wirtschaften und politische Weitsicht zu ersetzen. Ob sie dabei auf die Zustimmung aller zählen kann, wird sich zeigen …

Unangenehme „Wahrheiten“ machen einsam. Bild aus „Parkleuchten 2023“ im Essener Grugapark (Foto: Autor)