Sorry, wer in diesen Zeiten auf Optimismus macht, ist entweder naiv oder versucht mit lautem Pfeifen im Wald seine Angst zu kaschieren. Nein, purer Pessimismus kann auch nicht die Antwort sein. Macht dieser uns doch nur hoffnungslos, handlungsunfähig und haltlos. Zwischen dem „alles wird gut!“ und dem ängstlichen, aber lauten Pfeifen im dunklen Wald findet sich ein rationaler Realismus mit einem unverstellten Blick auf die Welt. Gerade weil diese Welt derzeit eher einem Alptraum von Geisterbahn gleicht, gilt es sich selbst nichts vorzumachen. Ein kluges Bonmot besagt: „Ein Pessimist ist ein Optimist, der nachgedacht hat.“
Und genau darum geht es – über Entwicklungen nachdenken und Alternativen antizipieren. Allen Grund haben wir zur Annahme, dass der „Worst Case the new Normal“ ist. Kein Tag vergeht ohne Hiobsbotschaften im globalen Ausmaß. Schließlich durchleben wir nicht nur einen bösen Traum, nach dessen Erwachen es wieder billige Energie aus Russland gibt, der Handel mit China floriert und Amerika seine schützenden Hände über uns hält. Wir sollten uns auch nicht der Illusion hingeben, dass mit dem gigantischen Schuldenpaket alle unsere Probleme gelöst sind. Nein, die Probleme entwickeln gerade erst ihre eigene Dramatik. Was zudem verdrängt wird, ist der Klimawandel. Er wird wohl kaum verschwinden, nur weil wir durch die Megakrisen überfordert sind.
Was bedeutet Worst Case-Politik? Es bedeutet, vom schlechtesten Szenario auszugehen und dafür strategische Vorbereitungen zu treffen. Es bedeutet, die ideologischen Grabenkämpfe zwischen demokratischen Parteien einzustellen. Und es bedeutet, dass wir als Gesellschaft politisch wacher werden und mehr Partizipation einbringen. Ich denke, dass Politik zu wichtig ist, um sie den PolitikerInnen zu überlassen. Unsere Gesellschaft muss ihr politisches Selbstverständnis neu justieren und darf Demokratie nicht mehr als Konsumprodukt verstehen.
Wie dringend erforderlich das ist, zeigt sich gerade in den USA. Hier vollzieht sich ein Paradigmenwechsel, der unsere bisherigen Erfahrungen aus der Historie übersteigt und unsere Begriffssysteme und Bilderwelten überfordert. Für das, was sich in den USA tut, suchen wir noch das treffende Konstrukt – siehe „Faschismus? Das trifft es nicht“ (25.3.2025, sueddeutsche.de). Dennoch müssen wir uns aus der Schockstarre lösen und mit rationalem Realismus über unsere Zukunft nachdenken. Dazu gehört, unsere menschliche Bequemlichkeit zu überwinden und unseren Überlebenswillen zu mobilisieren. Klientelpolitik, die allen wohl und keinem weh tut, hilft nicht mehr weiter. Ja, wir werden uns auch mit Veränderungen auseinandersetzen müssen, die uns als Zumutungen erscheinen – weil sie unsere Anspruchshaltungen in Frage stellen. Doch was zählen solche kleinteiligen „Verluste“ im Vergleich zu dem, was in Europa und Deutschland zur Disposition steht? Es geht um das große Ganze …
