Der Schock muss verarbeitet werden!

Eigentlich schockiert dieser exzellente Artikel. Aber es gibt einen Satz, den ich gerne lese: „Zukunft, nicht Verwaltung der Gegenwart, muss wieder im Zentrum liberaler Politikentwürfe stehen.“ Damit ist sicher ein anderes Zukunftsverständnis gemeint als etwa die Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie – keine Maßnahme, die Zukunft gestaltet. Hoffnungsvoll stimmt mich auch der Appell: „… wenn liberale Kräfte, sei es in den USA, sei es in Europa, wieder Oberhand gewinnen wollen, müssen auch sie sich erneut erlauben, in Utopien zu denken.“ In Utopien zu denken, scheint in Deutschland sehr verpönt. Wunderbar, wenn sich das jetzt endlich ändern würde.

Die beiden Aussagen stammen aus dem Artikel „Zertrümmert die Gegenwart“ (13.4.2025, sueddeutsche.de). Begeistert hat mich die Interpretation der Trump-Ideologie, die klar macht, dass wir mit unseren Denkroutinen und Handlungsschemata diesem „Game Changer“ hoffnungslos unterlegen sind. Entgeistert hat mich das Key Visual zum Artikel. Zeigt es doch, dass ein vierjähriges Kind einem Mixed-Martial-Art-Kampf vor einem Käfig zusehen muss. Nun gut! Deutlich wird: MAGA ist der Lackmustest der modernen, aufgeklärten Gesellschaft. An dessen Folgen werden wir einerseits erkennen, wie resilient wir tatsächlich sind und andererseits, welches eigentliche Potenzial wir für Zukunftsgestaltung (statt Gegenwartsverwaltung!) überhaupt noch haben. Gemeint ist damit sehr viel mehr als nur die x-te Adaption wie: Aus Bürgergeld wird Grundsicherung. Nur pragmatisch zu denken und zu handeln (siehe Koalitionsvertrag CDU/SPD) reicht nicht. Unsere gesellschaftliche Zukunft muss raus aus dem engen Denk-Käfig, in dem wir uns so bequem eingerichtet haben.

Deutschland hat seine letzte große Utopie nach dem Krieg erlebt – die parlamentarische Demokratie und die soziale Marktwirtschaft. Wir haben es geschafft, wenn auch mithilfe der Amerikaner. Unser Erfolg gelang durch einen Systemwechsel und war nicht auf Glücksfaktoren wie „Reich an Rohstoffen“ gegründet. Im Grunde befinden wir uns heute an einer vergleichbaren Stelle: der Klimawandel treibt uns vor sich her. Zugleich versuchen viele autokratische Kräfte, uns zurückzuschicken. Es gibt kein Zurück, auch wenn der „reaktionäre Futurismus“ dies glaubt. Er wird nur die alte Ordnung zerstören und Chaos hinterlassen.In Utopien zu denken, ist anstrengend und macht viel Arbeit. Was wir brauchen, sind neue Begriffssysteme und Bilderwelten, die eine produktive Provokation im politischen und im gesellschaftlichen Denken in Gang bringen. Wohlstand, Sicherheit, Marktwirtschaft sind neu zu erfinden. Wir müssen den MAGA-Schock verarbeiten und uns neu aufstellen. Wir brauchen dafür eine gesunde Portion Größenwahn, der sowohl Selbstverständnis als auch Selbstbewusstsein neu definiert. Her muss ein neues Bewusstsein, was wirklich zählt und unser Überleben sichert. In Autokratien sind Wohlstand und Sicherheit das Privileg weniger Eliten. Vergesst das nicht!

MAGA, der Elefant im Porzellanladen feiert Party. Angst ist ein schlechter Ratgeber! Bild aus „Parkleuchten 2025“ im Essener Grugapark) (Foro: Autor)