Nur fürs Poesie-Album der Geschichte?

Offen gestanden, ich bin tief enttäuscht. Ich habe tatsächlich an das Konstrukt der Wissensgesellschaft geglaubt. Und was erlebe ich jetzt? Irrationales, nur von persönlichen Meinungen getriebenes Verhalten, bar jeder Vernunft. Wissen ist etwas geworden, das an Mode erinnert – heute in, morgen out. Ob ich die ganze Zeit über nur in einem Werbefilm für die Wissensgesellschaft gelebt habe? Ersetzt nun eine neue TV-Reality-Show die bisherige Dauerwerbesendung?

Erlebt man dieses Chaos, klingt schon der erste Satz bei Wikipedia wie glatter Hohn: “Der Begriff Wissensgesellschaft bezeichnet eine Gesellschaftsformation in hochentwickelten Ländern …“. In unserem eigenen „hochentwickelten“ Land gibt es eine zunehmende Radikalisierung und Leugnung der Realität, die die Demokratie gefährden. Geht die Demokratie, geht auch der Wohlstand – für diese Erkenntnis gab es sogar einen Nobelpreis. Das können eigentlich alle Menschen auf dieser Welt wissen. 

Was aktuell in den USA passiert, spottet jeder Beschreibung von Wissensgesellschaft. Man ignoriert, dass die meisten Nobelpreise für Medizin – seit 1901 waren es 109 Auszeichnungen – an US-amerikanische ForscherInnen gegangen sind. Deutschland hat 17 Nobelpreise für entsprechende Leistungen erhalten. Und jetzt wird die Wissenschafts- und Forschungslandschaft kurz und klein geschlagen?!

Es war kein geringerer als der „Godfather of Management“ Peter Drucker, der in den 1950er und 1960er Jahren den Begriff der Wissensgesellschaft mit einem elaborierten Verständnis versah. Zu erwähnen auch der amerikanische Politologe Robert E. Lane sowie Daniel Bell, ein amerikanischer Soziologe, der 1973 das Konzept popularisierte. Deutlich werden die vielen guten Gründe, warum die industrielle Produktion schon vor Dekaden „ausgewandert“ ist. Dennoch will die Trump-Truppe jetzt das Revival der Industrialisierung in den USA. Wider besseres Wissen?! Und letztlich nicht zu Ende gedacht. Oder werden Apple & Co. dann auf ihre Wertschöpfung aus nostalgischen Gründen verzichten?

Ach ja, der Klimawandel. Er findet statt – vor den Augen der gesamten Menschheit. Aber wir müssen uns anhören: „There is no Climate Change!“ Nach Schätzung der WHO gibt es jährlich mindestens eine halbe Million Hitzetote. Who cares?

Offen gestanden, ich weiß nicht, auf welcher Seite des „Käfigs“ das Entsetzen und das Erstaunen herrscht. Entsetzen, dass es passiert, und Erstaunen, dass man es passieren lässt. Ja, zu diesem Vorgang gehören immer zwei – die, die es machen und die, die es zulassen. Spätestens seit dem Sturm auf das Capitol wussten wir, dass von dort Ungemach droht. Und wir wussten auch seit 2014, dass Russland beißt und nicht nur bellt. 

Wenn die Wissensgesellschaft nicht zum Treppenwitz der Geschichte werden will, müssen die sogenannten „Vernünftigen“ runter von der Couch der endlosen Power Nappings. Wissenschaft gehört zu den Vitalfunktionen einer Gesellschaft – nicht ins Poesie-Album der Geschichte!

Braucht die Wissensgesellschaft ein Update? Oder bestimmen künftig Meinungen und Einzelinteressen die Politik? Bild aus „Parkleuchten 2025“ im Essener Grugapark. (Foto: Autor)