In meinem beruflichen Umfeld galt ich häufig als Besserwisser, vor allem in Projekten mit hoher Zukunftsrelevanz. Meist prallten zwei Arten des Denkens aufeinander. Meine „Kontrahenten“ standen mit ihren Analysen und Vorschlägen im Hier und Jetzt. Im Grunde bestand ihr Zukunftsverständnis aus einer Fortschreibung der Gegenwart ohne Verwerfungen. Ich hingegen misstraute dem „Glück der Gegenwart“. Andererseits lockte mich das „Futurum des Fortschritts“. Neben der sachlichen Differenz ging es in diesem „Hund und Katze-Kampf“ immer auch um Bedeutungsverlust und Deutungshoheit.
Der Beitrag „Wo sind die Utopien hin?“ (30.4.2025, sueddeutsche.de) steigt in unseren gesellschaftlich-globalen Status quo ein und macht deutlich, dass allein schon die Beschreibung der Gegenwart eine Retrospektive ist. Sind wir deswegen so empfänglich für Dystopien in den Medien? Die zentrale Aussage dieses Interviews ist in meinen Augen: „Das gesamte Bildungssystem schränkt den kreativen Geist ein. Wir bilden Menschen aus, damit sie ökonomisches Kapital bringen, und tun wenig dafür, dass sie mit utopischem Kapital ausgestattet werden.“ Ob das der Grund ist, warum wir der aktuellen Situation so hilflos gegenüberstehen? Politik besteht häufig in sinnentleerter Emotionalisierung, was dazu führt, dass unser demokratisches System nicht mehr weiß, wie es mit seinen Feinden umzugehen hat. Es fehlen Konzepte und Strategien!
Die inflationäre Kommerzialisierung des Lebens erzeugt einen hysterischen Konsumismus, der die demokratischen Abwehrkräfte geschwächt hat. Der Trend zum Drittauto vermüllt die Innenstädte und die Ernährung mit Junk Food führt zu Übergewicht und Mangelerscheinungen.
Wir gehen immer davon aus, dass die Technologie mit ihren Innovationen die Probleme der gelangweilten Überflussgesellschaft schon lösen wird. Dabei wird übersehen, dass wir den Anschluss an die Zukunftstechnologien verloren haben.
Die Bildung selbst ist im wahrsten Sinne des Wortes aus der Mode gekommen und eignet sich noch am besten zum Ablästern. Dass Bildung die Basis der Demokratie ist, ist aus der politischen und der öffentlichen Diskussion verdrängt worden. Bildung scheint reduziert auf ihre Nützlichkeit im Kontext von wirtschaftlichem Wohlstand.
Unser Bildungssystem hat die Entdeckung neuen Wissens auf die institutionalisierte Forschung reduziert. Selbst in den Hochschulen liegt der Fokus auf der Vermittlung reproduzierbaren Wissens. Erfinder- und Forschergeist fehlen – noch dazu, wenn die Curricula so simpel wie das Stapeln von Containern aufgebaut sind. Module, in denen interdisziplinäre, transformative Zukunftsgestaltung gelehrt wird, sind der Orchideenfall. Utopien sind No-go-Area im Wissenschaftsbetrieb.
Wir sollten als Gesellschaft viel intensiver über Zukunftsgestaltung sprechen und dabei den Begriff der Utopie nach vorne stellen. Komplementäre Denk- und Sichtweisen sollten selbstverständlich sein. Selbst Hund und Katze können in friedlicher Koexistenz leben …
