Schuld sind immer die anderen! Im Fall meiner Utopie-Passion könnte man mit einem Augenzwinkern die Aussage gelten lassen. Ich war gerade zwölf Jahre alt, als Major Cliff Allister McLane und Leutnant Tamara Jagellovsk in mein Leben traten. Er war Kommandant des „Schnellen Raumkreuzers Orion“ und sie Sicherheitsoffizier beim „Galaktischen Sicherheitsdienst“. Die Rede ist von der ARD-Kultserie „Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“, die 1966 samstagsabends lief. Leitidee der Science Fiction-Serie war, dass es keine Nationalstaaten mehr gab, sondern nur noch die Menschheit, die den Weltraum besiedelt und den Meeresboden für sich als Lebensraum erschlossen hatte. Für mich war das ein sensationeller Gedanke – keine Feinde, nur Freunde und ein faszinierender Fortschritt. Ach ja, und das Filmset war vollgestopft mit „futuristischem Design“, was mich begeisterte.
Aufgewachsen bin ich im damaligen Zonenrandgebiet, während die Familie meines Vaters in West-Berlin lebte. Auch deswegen erlebte ich 1961 den Mauerbau so intensiv. Völlig unstrittig gehörte Amerika zu den Guten und die Sowjetunion zu den Bösen.
Die Welt damals bestand im Wesentlichen aus den beiden Machtblöcken von NATO und Warschauer Pakt, die sich feindselig gegenüberstanden. Der 3. Weltkrieg existierte immer als Realität einer nahen Zukunft. Raumschiff Orion mit seiner Utopie eines internationalen Teams eröffnete eine große Hoffnung – Amerikaner und Sowjets arbeiten mit Menschen aus allen Ländern friedlich zusammen. Eine solche Perspektive nahm uns ein wenig den Druck dieser Dauerkrise von der Seele – trotz des Vietnam Krieges. Ich empfand eine solche Utopie als Aussicht auf eine Konfliktlösung, selbst wenn diese unvorstellbar schien. Hoffnung bekommt durch Utopie einen Grund!
In meinem Leben habe ich gelernt, dass die Bitterkeit der Realität, die Zumutungen der Wirklichkeit eine Utopie brauchen – sowohl eine kleine private als auch eine große politische Utopie. Für mich sind Utopien der Brückenkopf von der Vergangenheit in die Zukunft. Und für jemanden, der keinen Krieg kennt und bisher nur in einer offenen, demokratischen Gesellschaft gelebt hat, sind solche Utopien Realität gewordene Fiktion. Und für mich als Designer sind Utopien keine Seifenblasen, eher eine Farbpalette der Zukunftsgestaltung.
Allerdings habe ich auch gesehen, dass Utopien ein Haltbarkeitsdatum haben und abgelöst werden. Der Sozialismus platzte, der Westen als Wertegemeinschaft besteht nur noch aus Deals, und aus der Vision „In 80 Tagen um die Welt“ wurde die Last des Overtourism. Selbst imaginierte Paradiese sind nur von Menschenhand gemacht …
Für mich sind Utopien die Potenzialinterpretation unserer Zukunft. Und sie helfen uns, die Selbstbezogenheit der aktuell handelnden Akteure einzureißen. Utopien sind die Widerstandskämpfer einer intellektuellen Shrinkflation und einer politischen Skimpflation.
