Utopien sind Koordinaten in Zeit und Raum. Wie Sterne am Firmament zeigen sie den Menschen die Richtung und helfen ihnen, durch existenzielle Krisen zu navigieren. Aber Utopien evozieren auch negative Assoziationen.
Viele Menschen stellen ihre Ohren auf Durchzug beim Wort Utopie. Die meisten denken dann an Sonntagsreden in der Kirche, in denen das Paradies versprochen wird – sofern sie „gute“ Menschen sind. Auch das Konstrukt des guten Menschen ist eine Utopie. Es ist ein beschreibendes Ideal von etwas, was außerhalb der eigenen Realität steht. Dennoch ist eine solche Orientierung für unser Zusammenleben enorm wichtig.
Utopien haben auch deshalb einen schlechten Ruf, weil viele Menschen ihre unmittelbare Wirkung in Frage stellen. Sie haben brennende Probleme auf dem Tisch, die sofort gelöst werden müssen. Und deren Lösungen müssen praktisch, pragmatisch und produzierbar sein. Utopien sind für sie bestenfalls Theorien für eine ferne Zukunft, ja sogar Hirngespinste von Fantasten, die keine Ahnung vom richtigen Leben haben. Ja, Utopien reparieren keine Autos, lösen keine realen Probleme auf Knopfdruck. Das ist aber auch nicht ihre Aufgabe. Utopien lösen dafür Knoten im Kopf, die Menschen darin behindern, sich aus ihren Routinen zu lösen und ihnen den Mut nehmen, Neuland zu betreten.
Und dann ist da noch die Angst, Utopien könnten Revolutionen verursachen und die Welt radikal verändern. Wenn diese Furcht vor Veränderung nicht wäre …
Utopien sind der Konjunktiv eines Korrektivs und Angebot zur Kommunikation und Kooperation. Ja, Utopien sind die Projektionen in eine bessere und auch sozial gerechtere Zukunft. Dabei haben Utopien von besseren Welten ihre Gegner. In der Regel sind es die, die von der schlechteren Welt profitieren. Gute Voraussetzungen für Utopien sind ein hoher kollektiver Leidensdruck und die zwingende Notwendigkeit zum Handeln.
Wenn man so will, sind Utopien vorauseilender Ungehorsam in einer Wirklichkeit des Wertewandels. Sie sind wesentliches Element eines Zukunftswissens, das selbst Teil einer wissensbasierten Kreativität ist. Es geht um Zukunftsgestaltung, die künftige Entwicklungen antizipiert und in die Planung integriert. So wie in Bilbao!
Bilbao stand in den 1970/80er Jahren im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser bis zum Hals: Die Wirtschaft zerbröselte zusehends; jeder vierte arbeitslos, Tendenz steigend; die ETA wollte mit Waffengewalt und Terror die Unabhängigkeit des Baskenlandes erzwingen; eine Flutkatastrophe gab der Stadt den Rest. Dennoch waren die Verantwortlichen der Region zu einer Utopie ihrer künftigen Stadt fähig. Utopisch deshalb, weil eigentlich alles dagegensprach und die Akteure trotzdem unbeirrt ihrer Idee folgten. Für sie galt das Postulat „Think big!“ und „Act forward!“ Und das machten sie mit Verve und großem Erfolg. Der Begriff des „Bilbao Effekts“ wurde international zum Synonym für gelungenen Strukturwandel (vgl. Bauwelt 20-2022).
