Utopien sind Zukünfte auf Vorrat

Es ist eine Schande, dass wir das Thema von Utopie und Dystopie der Unterhaltungsbranche überlassen. So ist es zu einem Ex-und-hopp-Genre geworden, das seine Seriosität einbüßt. Gerade die bildenden und gestaltenden Disziplinen wie Kunst, Design und Management verlieren hier gesellschaftsrelevantes Terrain an eine Industrie, die ausschließlich den Event im Fokus sieht. Insbesondere die Hochschulen und Universitäten sollten sich der Zukunftsgestaltung offensiver und progressiver widmen – selbst, wenn diese auf den ersten Blick nicht praxisnah oder gar wirtschafts-nützlich erscheint. Zugegeben, auch die Politik bekleckert sich beim Stichwort der Utopie nicht mit Ruhm …

Wir haben in den letzten Dekaden ständig über Change Management, Transformation und Innovation gesprochen und dabei völlig vergessen, dass das alles einen Sinn haben muss, der über die betriebswirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit hinausgeht. Irgendwie scheinen wir eine Mentalität zu haben, die alles voneinander isoliert und dabei den Blick auf das „Große Ganze“ verliert. 

Der Sinn von Utopien liegt im Vorausdenken und in der Kreation von lebenswerteren Zukünften. Das ermöglicht, dass wir im Fall von Krisen sehr viel schneller reagieren können. Es geht um einen Creative Change, der im Bedarfsfall den berüchtigten „Aktionismus“ oder das berühmte „Kaninchen vor der Schlange“-Syndrom verhindert. Utopien sind ein Serum gegen den schleichenden Prozess der politischen Fremdbestimmtheit. Es werden denkbare und „undenkbare“ Möglichkeitsräume geschaffen – Zukünfte auf Vorrat.

Die Sinnstiftung von Utopien findet sich in der Fähigkeit von Menschen, sich durch radikales Denken eine oder auch mehrere andere Welten vorzustellen – Welten, die bis dato undenkbar waren. Undenkbar, weil die Fantasie nicht reichte oder aber weil es nicht opportun war, sich in eine neue Zukunft zu „beamen“. Notwendig hierfür sind die Utopisten, die flexibel und kreativ, antizipierend und initialisierend einen neuen Kurs fahren können. Menschen, die in Utopien denken, sind eine Art Wolkenschieber, die es schaffen, neue Horizonte aufzuzeigen. Denn ehe Geschichte geschrieben wird, muss Geschichte erdacht werden. 

Wer das aktuelle Zeitgeschehen verfolgt, weiß, dass unsere Republik, dieser Kontinent und der gesamte Globus in Zukunft nicht mehr so funktionieren werden, wie es bislang war. Wenn wir von Veränderungen reden, dann wird das ganz sicher auch unser Bildungssystem betreffen. Es wird Zeit, das Thema der Utopien (zumindest) im tertiären Bildungsbereich curricular zu integrieren. Studierende (und selbst Professoren!) sollten das abstrakte und holistische Denken auf Meta-Ebenen lernen. Sie sollten vor vermeintlich „deskausalen Beziehungen“ nicht kapitulieren, sondern deren Berechtigung verstehen. Daher sind Lehrmodulen, die sich mit Zukunftsgestaltung befassen, Priorität einzuräumen. Junge Menschen lernen so generalistisch, interdisziplinär und spekulativ Zukunftsgestaltung!

Da man nicht weiß, was wann kommt, sollten wir Zukünfte auf Vorrat denken. Bild: Street Art aus F-Vannes. Foto: Autor