Zukünfte ohne Utopien sind wie Lost Places

Das „Schöne“ an diesen Zeiten ist, dass sie so abwechslungsreich sind – der Mega-Ungewissheit sei Dank. Bald stündlich wird eine neue Sau durch das Dorf getrieben! Das Chaos feiert eine 24/7-Party und unser Vize-Kanzler will (endlich!) das Faxgerät in den Ruhestand schicken. Dafür wollen die Belgier jetzt neue Atomkraftwerke bauen. Es scheint, als ob auf uns eine „strahlende Zukunft“ wartet (sorry für den uralten Kalauer).

Ob Zukunft Hochkonjunktur hat? Zumindest verbal. Allerdings scheint Zukunft nichts Hoffnungsvolles oder gar Erstrebenswertes zu sein – sie ist negativ konnotiert. Kein Wunder! „Trump bricht alle möglichen Regeln der Welthandelsordnung“ heißt es auf faz.net (16.5.2025). Er lässt keinen Stein auf dem anderen, und die bisherige Ordnung wird Makulatur. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass sich als Reaktion „eine Chance für eine WTO 2.0, für eine neue und reformierte Welthandelsordnung“ ergibt. Schön wär‘s! Das Prinzip Hoffnung gilt auch für Deutschland: „Appelle reichen nicht – Deutschland braucht eine Aufbruchskultur“, schreibt handelsblatt.com (16.5.2025) als Kommentar zur ersten Regierungserklärung unseres neuen Kanzlers. Im Subtext lassen sich Resignation und Furcht vor einer nationalen Bewegungsunfähigkeit erkennen. Wie schafft Deutschland einen Zukunftsplan, der sich auf eine breite Zustimmung stützen kann? Kaum möglich, bilanziert der HB-Autor: „Wer will schon was Neues vorschlagen, wenn andere darin mindestens einen Zivilisationsbruch unterstellen.“ So könnte es zum Beispiel der Idee einer „Konsumgewerkschaft“ ergehen. Beschrieben in „Kunden aller Länder, vereinigt euch!“ in sueddeutsche.de (16.5.2025). Der Artikel zeigt auf, dass Konsumenten ihre Einflussmöglichkeiten auf Veränderungsprozesse haben und dass sich eine Vielzahl von Verbrauchern nicht mit der Opferrolle abfinden will. Gut organisierte Consumer Unions seien in der Lage, das Wirtschaftsgeschehen nachhaltig zu beeinflussen. Es fehle aber an Formaten, die von unten nach oben Politik praktizieren.

Alle drei Beispiele der medialen Zukunftssorgen sind an einem Tag in drei verschiedenen Leitmedien erschienen. Sie machen klar, dass es ein großes Bedürfnis nach Zukunftsentwürfen gibt – international, national und organisational. Aber aus dem Bedürfnis muss der gesellschaftliche Bedarf erwachsen, sonst bleibt es belanglose Salonplauderei und damit folgenlos. Intellektuelle Unverbindlichkeit kostet Zeit, die die Welt nicht hat.

Zukunft braucht Utopien! Radikale Gedankenexperimente, die zeigen, dass es viele unerschlossene Möglichkeitsräume gibt. Utopien sind an einem Un-Ort von Gerechtigkeit und Glück zuhause. Utopien sind Skizze und Story einer Gesellschaft und das Gegengift bei Autokratien und Diktaturen. Es gilt: Bröckelt das Bild der Gegenwart, braucht es eine starke Vorstellung von Zukunft!

Mag sein, dass Lost Places Ausdruck eines morbiden und maroden Zeitgeistes sind. Nach vorne bringt uns dieser nicht!

Zukunft braucht Utopien! Ohne diese wird sie zum Lost Place. Street Art aus Malaga, Stadtteil Soho. Foto: Autor