Am liebsten würde ich jetzt der SPD den Spruch von Herbert Achternbusch zurufen: „Du hast keine Chance, aber nutze sie!“ Warum? Weil „Die SPD will wieder näher an die Stammtische“ (2.6.2025, sueddeutsche.de) mit ihrem neuen Grundsatzprogramm. Und für diese Quadratur des Kreises müssen die GenossInnen ein richtig dickes Brett bohren. Die Herausforderungen an ein politisches Grundsatzprogramm der sozial-demokratischen Partei sind gigantisch! Es werden DenkerInnen gebraucht, die – wie Herbert Achternbusch – gegen den Strich gebürstet sind und sich außerhalb der gewohnten Denkschablonen intellektuell bewegen können. Vielleicht muss sich die Partei inhaltlich sogar neu erfinden und eine neue Utopie anbieten. Denn: „… viele Sozialdemokraten räumen ein, dass derzeit eine klare Vision fehle für eine sozialdemokratische Politik in einer Welt wachsender Unordnung und Unsicherheit.“
Wenn wir über Utopien sprechen, ist dies immer implizite Kritik der Gegenwart und ihrer Ärgernisse und Ungerechtigkeiten. Utopie ist sozusagen die Positiv-Form der Zumutungen des Hier und Jetzt. Und das macht sie so unangenehm für das jeweilige „Ancien Régime“. Dabei geht es den Kritikern nicht um die Irrealität und den amorphen Zustand einer Utopie, sondern um die Abwehr von Ansprüchen. Der Status quo wird verteidigt! Das könnte die Ursache für den Befund des Ökonomen Simon Jäger zum deutschen Wirtschaftsmodell sein: „Uns fehlt eine echte Vision für die Zukunft“ (17.5.2025, faz.net).
Bei politischen Grundsatzprogrammen ist meiner Meinung nach die Frage nach dem zugrundeliegenden Wertegerüst und dessen Horizont entscheidend. Wie progressiv darf und muss die Zukunft aussehen, die die Politik gestalten will? Wer dem Volk nur aufs Maul (und auf die Wählerstimmen) schaut, ist mit seiner Progressivität schnell zu Ende.
Ist die Geschichte der Zukunft von politischen Parteien auserzählt? Wenn nein, was haben diese der demokratischen Gesellschaft an neuen Perspektiven anzubieten? Wer hier substantiiert argumentieren will, hat die Diskussion um den Sinn des Lebens in unserer Gesellschaft und um die Legitimation der Existenz einer Partei zu führen. Ja, es braucht radikal-utopisches Denken für eine glaubwürdige Politik von authentischen Parteien und ihren Protagonisten. Alles andere wird nur „Mehr desselben“ (Watzlawick).
Im Grunde suchen alle demokratischen Parteien nach neuen Leitideen, die ihnen eine politische Perspektive und ein programmatisches Profil geben. Und das ist gut so, denn schließlich will niemand die Demokratie grundsätzlich in Frage stellen. Wenn doch, sollten alle Alarmglocken in der Gesellschaft klingeln und dazu aufrufen, die demokratischen Institutionen zu retten.
In einer Gesellschaft, die nach neuen Utopien sucht, werden der gemeinschaftliche Prozess und das prospektive „Große Ganze“ zur Zentripetalkraft. Offenheit schafft Visionen; Geschlossenheit nur Illusionen!

Street Art des Künstler-Kollektivs Faile am Eingang des MAACS in F-Straßburg.