Können Utopien nützlich sein? Kann ein Elfenbeinturm aus Zeltplanen bestehen? Ist Zukunft die bessere Vergangenheit? Ist Widerspruch ein verantwortungsvolles Dogma? Jedoch der Reihe nach:
Ja, eine Utopie ist nützlich, weil sich die Gegenwart eines Tages zum Alptraum entwickeln kann. Beispiel Wohlstand: Seine globalen Folgeprobleme für die Weltgemeinschaft werden immer existenzieller und reichen vom Artensterben bis zu den hinlänglich bekannten Zivilisationskrankheiten. Wir können zwar verdrängen und leugnen, aber die Konsequenzen werden uns eines Tages einholen. Daher Utopien. Sie können Verwerfungslinien identifizieren, Folgeerscheinungen antizipieren und kreative Zukünfte skizzieren. Utopien sind für dynamische Gesellschaften der Plan C – Creativity, Communication, Collaboration.
Zum Elfenbeinturm: Damit ist das Hochschulsystem gemeint. Mein Eindruck ist, darin steckt inzwischen viel zu viel Zement – alles scheint betoniert. Es muss künftig einen anderen Weg geben als die Industrialisierung der Wissensreproduktion. Lehre und Forschung sollten sich viel mehr in der Breite des Themas der Gestaltung von Zukunft annehmen. Aber dafür muss die Struktur elastischer und näher am Puls der Zeit sein. Wissen sollte weniger als etwas Altbekanntes und vielmehr als ein neu zu entdeckendes Terrain verstanden werden. Und zwar flexibel wie Zelte, die schnell auf- und abgebaut werden können, wenn wieder der Umzug in ein neues Terrain ansteht.
Ja, Zukunft ist die bessere Vergangenheit! Wer heute in der Zukunft lebt, legitimiert seine Vergangenheit. Dazu gehört die Weitsicht des langfristigen Handelns in einer sich ständig verschiebenden Umwelt. Sich nur auf akute Probleme zu fixieren, ist wie das Werkeln in einer Hinterhof-Werkstatt ohne Plan. Es mangelt nicht am Wissen der Ursachen unserer Zukunftsunfähigkeit. Der tatsächliche Mangel: Zukunft hat keine Lobby, keine Interessenten, keine Etats, keine Breite, keine Emotionalisierung. Wir brauchen dringendst das nötige Mindset, uns auf den Weg zu machen.
Ist Widerspruch ein verantwortungsvolles Dogma? Ich meine, ja, obwohl unsere Gesellschaft das Belohnungssystem Konformismus praktiziert. Widerspruch wird bestenfalls ignoriert, eher als Majestätsbeleidigung sanktioniert. Widerspruch ist unbeliebt, weil das Prinzip der schnellen apodiktischen Aussage gilt. Auf jede Frage gibt es sofort eine Antwort. Dabei ist Widerspruch eigentlich die produktivste Form der Kooperation und basiert auf der Erkenntnis, dass „Zwei Gehirne verstehen mehr als eins“. Jede qualifizierte Entscheidung in Systemen, in denen Menschen auf Augenhöhe miteinander arbeiten, ist das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit Widersprüchen, die die Wahrscheinlichkeit einer zukunftsfähigen Handlung erhöhen.
Utopien ist das kollektive Träumen einer Gesellschaft. Utopisten sind Traumdeuter. Und Zukunftsgestaltung wird zum gelebten Tagtraum …
