Ja, ich weiß – für die einen bin ich ein Spinner und für die anderen ein unterbeschäftigter Rentner. Andere Gründe fallen vielleicht denjenigen, die nur im Hier und Jetzt leben, gar nicht ein. Sich mit dem Thema der Utopien zu beschäftigen, passt bei vielen Menschen in die Rubrik „Brotlose Kunst“. Vielleicht stimmt das ja sogar. Denn nach meinem Eindruck haben viele der freiberuflichen Zukunftsforscher, Zukunftslobbyisten und Zukunftsdenker eher Lücken in ihren Auftragsbüchern.
Dabei könnte die Welt aktuell mehr denn je vom Reichtum derer profitieren, die mit Fantasie und Kreativität unsere Optionen für die Zukunft ausloten. Eine oder besser mehrere Utopien für den Nahen Osten könnten vielleicht helfen, politische Lösungen zu entwickeln, die einen Ausweg aus der Eskalation von Gewalt anbieten. Ja, Frieden als Utopie, auch wenn die Realität dagegenspricht.
Seitdem ich den Eindruck habe, dass unsere Demokratie zur Disposition steht, beschäftigt mich die Unendlichkeit von Utopien. Was denkbar wird, ist möglich. Und was unmöglich erscheint, wird erträumt und designt, bis es plausibel wirkt. Demokratie ist wie ein Garten. Wird er nicht ständig bestellt, holt sich die Natur alles zurück und überwuchert am Ende die Kultur. Wenn an der Demokratie nicht immer wieder ein Redesign erfolgt, könnten am Ende die primitiven Instinkte des Menschen, wie Gier und Missgunst, obsiegen. Wenn die Gärtner, das Volk, nicht ihren eigenen Gestaltungsspielraum in der Demokratie ausfüllen, werden es andere tun. Und die scharren schon mit den Füßen …
Dabei sollte unsere Wachsamkeit nicht nur den autokratischen Tendenzen in der Politik gelten, sondern auch den oft unverstandenen technologischen Optionen. Deutlich wird dies bei der Künstlichen Intelligenz (KI). Ob Deutschland seine Chancen sieht und nutzt? Zweifel kommen auf, liest man die Bewertung von Monika Schnitzer und Daniel Privitera: „Ist Deutschland auf den nächsten KI-Durchbruch gut vorbereitet? Leider nicht.“ (16.6.2025, faz.net). Das Resümee der Autoren: „Anderswo findet indessen nicht nur schon lange KI-basierte Wertschöpfung statt.“ Offenbar fehlt uns das frühzeitige utopische Denken in der Politik.
Politik soll die Rahmenbedingungen schaffen, die die Entwicklung einer Gesellschaft voranbringen. Je eher man komplexe Konsequenzen auf dem Schirm hat, desto größer sind die Möglichkeiten gesellschaftlich relevanter und wirtschaftlich substantiierter Konzepte. Das sind politische Gestaltungsaufgaben, die eine normative Basis für transformative Zukunftslösungen brauchen.
Die Utopie wirkt wie ein Medium. Wer sich damit befasst, versteht Zukunft nicht mehr als etwas Abstraktes, sondern als eine Aktivierung des eigenen Mindsets. Utopie ist Werbung für die Zukunft einer Gesellschaft, die Lust auf ihre eigene Evolution hat. Und Utopisten sind die Vorkoster idealer Zukünfte und deren Optionen.
Der Idealist scheitert, nicht die Ideale!
