Für Utopien war die Zeit nie reifer

Ein Social Media-Verbot für Kinder unter 16 Jahren?
Sofort!
Nur würde ich die Altersgrenze erheblich heraufsetzen …

Um es gleich direkt zu sagen: ich halte solche Diskussionen, wie die um das Social Media-Verbot für eine Form von Placebo-Politik, die rein gar nichts verändert. Die Mediennutzung von Kindern ist nur Ausdruck dessen, was ihnen die Erwachsenen respektive die Eltern vorleben. Wenn Kinder keine Bücher mehr lesen, weil sie sich nicht konzentrieren können, liegt das vielleicht daran, dass im Elternhaus keine Bücher mehr gelesen werden und das Vorlesen für Kinder durch das Fernsehen längst abgelöst wurde. Übrigens war ich als Hochschullehrer immer verwundert, dass viele Bücher in der Bibliothek völlig unbenutzt im Regal standen. Ich erfuhr, dass diese so gut wie gar nicht ausgeliehen werden.

Ja, wir müssen uns Gedanken um unsere Kinder machen. Aber wir sollten auf uns, die Erwachsenen, schauen und unsere eigene Wohlstandsverwahrlosung selbstkritisch hinterfragen. Haben Sie schon einmal darauf geachtet, wie viele der Abgeordneten während einer Rede oder Debatte im Bundestag intensivst mit ihrem Smartphone beschäftigt sind? Mir kann keiner erzählen, dass die eigene Konzentration durch sogenanntes „Multitasking“ nicht beeinträchtigt wird.

Nach meinem Verständnis ist die Zeit reif für Utopien, die die unendlichen technischen und sozialen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Optionen in Bahnen lenken, die die Gesellschaft reicher machen. Im Grunde ist doch das, was wir mit unseren Talenten und den Technologien machen, armselig, weil wir gar nicht wissen, was alles möglich ist. 

Die Diskussion eines Social-Media-Verbots ist für mich Ausdruck von Hilflosigkeit gegenüber technisch-kulturellen Veränderungen und Desinteresse an der Bildungssituation unserer Kinder und Jugendlichen. Wir sehen, dass sie zu Geiseln ihrer eigenen Faszination für die medialen Möglichkeiten der „Selbstverwirklichung“ werden. Zugleich müssen wir aber auch die Sinnlosigkeit dieses Tuns für ihre Persönlichkeitsentwicklung erkennen.

Statt eines Verbots sollten wir lieber einmal utopisch denken und das Thema „Soziale Medien“ annehmen und beispielsweise in den Unterricht integrieren. Aber nicht im Sinne der Einschätzung von Gefahren und Risiken, sondern als Offensive für kollaborative Kreativität bis hin zur Integration der ganzen Familie. Alles beginnt ganz einfach und endet vorläufig mit der Bedeutung für die Demokratie – zwischen den Beziehungen Individuum und Gesellschaft, Konsum und Kreativität. 

Warum fangen wir nicht endlich an und fragen uns, wie eine Kindheit im 21. Jhdt. verlaufen sollte? Welche politischen Rahmenbedingungen müssen für Chancengleichheit geschaffen werden? Welche Form von Zuwendung brauchen Kinder, damit sie mehr Zeit mit Menschen als mit ihren Smartphones verbringen? Ist unsere Familien-, Jugend- und Bildungspolitik überhaupt noch zeitgemäß und zukunftssicher?

Es ist Zeit für Utopien!

Erträumen wir die Zukunft unserer Kinder oder muten wir ihnen diese einfach nur zu? Street Art im MAUSA Vauban in (F) Neuf-Brisach.