Übt man sich in Designkritik, steht man immer auf jemandes Füßen. Im Gegensatz zu Architektur, Kunst und Kultur, ist die Designkritik unterentwickelt. Dabei ist genügend zu tun, um die Disziplin als solche und den Berufsstand ins 21. Jahrhundert zu bringen. Denn durch die vielen Umbrüche in der globalen Gesellschaft ist selbst die Welt der Designikonen wie Braun eine völlig andere als noch zu Zeiten von Dieter Rams. Seine 10 Thesen für gutes Design werden auch heute noch gerne zitiert, obwohl sie fast 50 Jahre alt sind und ihre Aktualität kritisch zu überprüfen ist.
Wenn der international renommierte Hartmut Esslinger 2023 die curriculare Qualität des Designstudiums in Deutschland als „dilettantisch und berufsfern“ kritisiert, dann wird (wohl wegen seiner Verdienste und unbestrittenen Kompetenz) höflich hingehört, aber ignoriert. Dabei würde sich gerade hier ein Disput lohnen, denn die globale Transformation wird kreative und umsetzungsstarke DesignerInnen dringend brauchen. Eine neue Welt ohne neue Curricula? Schwer vorstellbar! Zumal es auch noch Nachholbedarf in der mit staatlichen Drittmitteln geförderten Forschung gibt.
Ja, natürlich gibt es immer wieder Ansätze in den Hochschulen, auch Karrieren in den Unternehmen und in staatlichen Institutionen, von denen man sagen kann, dass sich schon neue Konzepte für die Kompetenzen von ZukunftsgestalterInnen erkennen lassen. Aber es fehlen nach meinem Verständnis noch substantiierte Beiträge, wie sich aus Sicht des Designs eine Gesellschaft mit ihrer Wirtschaft neu erfinden kann. Der Bedarf an experimentellen Möglichkeitsräumen müsste gigantisch sein … Wie sagte Goethe so treffend: „Man sieht nur, was man weiß“.
Schon länger wird in vielen Professionen und ihren Spitzenorganisationen, in den Fachbereichen der Wissenschaftsfelder an neuen Lösungen für die veränderten Paradigmen der Zukunft gearbeitet. Und im Design? Denkbar, dass ein solcher Vorsprung fürs Design nur schwer oder gar nicht mehr aufzuholen ist. Zum einen, weil die eigene Kernkompetenz sich nicht weiterentwickelt hat, und zum anderen, weil es künftig eine hochentwickelte Kollaborations-Kompetenz braucht, die sich inhaltlich und methodisch vernetzen kann. Nur wer auf Augenhöhe zusammenarbeitet, wird auch etwas in seinem Sinne bewegen können.
Meinen Themendiskurs nenne ich „Denkzettel“, weil ich das derzeitige Design für unterambitioniert halte. Dabei hat es doch an Potenzial mehr zu bieten als ein variierendes Redesign. Um aufzuschließen, braucht es Anregungen und Widerspruch, Fragen und Hinweise – kein kumpelhaftes Schultergeklopfe! Fortschritt braucht These und Antithese, Nachdenken und Vormachen und Rede und Gegenrede. Das Sprachdefizit der Profession darf nicht zur Gedankenlosigkeit werden, gerade wenn die eigene Verantwortung für eine programmatische Zukunftsgestaltung gefordert ist. Der Kuss der Erkenntnis braucht vorher die Umarmung der Kritik.