Markengestaltung: Eine philosophische Pilgerreise

Wie wichtig der Markenkern respektive die Markensubstanz ist, kann man momentan sehr deutlich bei den politischen Parteien in Deutschland sehen. Zwei Parteien müssen die Fünf-Prozent-Hürde fürchten, die eine ist zwar etabliert, aber intellektuell ausgeblutet – die andere ist zwar „frisch“, aber leidet am fokussierten Personenkult. Eine dritte Partei, die eigentlich schon totgesagt war, besinnt sich auf ihren Markenkern, richtet den Wahlkampf danach aus und liegt nach aktuellen Umfragen wieder bei fünf Prozent. Und die sogenannten „Parteien der Mitte“ verorten sich nur noch „geografisch“, weil es ihnen an inhaltlich differenzierenden Konzepten und damit am politischen Profil mangelt. Schade, weil Begriffe wie „konservativ“, „sozial“ oder „ökologisch“ reichlich Substanz hätten, um den Wählern präzisere Positionsbestimmungen der Parteien zu ermöglichen. Vielleicht wird man eines Tages im Rückblick von einer Identitäts- und Ideenkrise der Parteien sprechen, weil sie ihren Markenkern nicht mehr kreativ innovierten und sich zu sehr von den vermeintlichen Stimmungen des Volkes treiben ließen.

Was aber hat das mit Wirtschaftsunternehmen zu tun? Auch hier ist immer weniger klar, wofür die jeweiligen Marken eigentlich stehen. Produkte und Dienstleistungen strahlen immer weniger Charisma und Einzigartigkeit aus. Aber auch die Märkte und Kunden haben sich stark gewandelt. Sie sind anspruchsvoller, wechselbereiter geworden und sich ihrer „Einkaufsmacht“ sehr bewusst. Die kapitalistischen Prinzipien von Kaufentscheidungen haben auch die Kunden vor dem Supermarktregal internalisiert. Der Kunde will wissen, warum er der Marke XYZ seinen Zuschlag geben und warum er die billigeren Produkte aus China eben nicht kaufen soll. Wenn „Made in Germany“ nur noch an die Loyalität appelliert und keine belastbaren Benefits bietet, wird es zur puren Nostalgie im Wettbewerb. Insgesamt hat sich die Situation der Wirtschaft und ihrer Märkte sehr verändert – unübersichtlicher, riskanter, chaotischer, anarchischer … Es gibt großen inhaltlich-konzeptionellen Nachholbedarf in der Modernisierung des Markenkonstrukts.

Die Resilienz von Unternehmen und ihren Marken wird zunehmend auf den Ebenen der Transformation und der Evolution entschieden. Während sich die Transformation auf die großen und zügig zu leistenden Anpassungssprünge konzentriert, vollzieht sich die Evolution in langsamen und kleineren Schritten. Doch dieser Prioritätenwechsel zur Metaebene wird zu häufig noch ignoriert. Es überwiegt das Managen in den bekannten Fahrbahnen von Strategie und operativem Geschäft. Die Hinwendung zur normativen Ebene wird verweigert, muss aber dringend akzeptiert und vollzogen werden. Radikaleres Denken und konsequenteres Umsetzen sind angesagt. Gerade Marke braucht nicht mehr so sehr das Handwerkszeug des Marketings, sondern das ambitionierte Entwicklungsprogramm bis hin zu avantgardistischen Denkexperimenten im Top-Management.

Eine Wanderkarte zum Thema Markengestaltung mit zehn Stationen für neue Erkenntnisse (Bildquelle: Eigenes Foto)