Leerbuch: Zukunftsgestaltung statt Zukunftsbestattung? 

Kennen Sie den? In der ersten Stunde zu Beginn des neuen Schuljahres wird der Stundenplan vorgestellt. Die kleine Sophia kommt nach Hause und berichtet freudig dem Vater: „Wir lernen jetzt im neuen Schuljahr auch Englisch, Französisch und Algebra!“ Der Vater scheint beeindruckt und fragt gleich: „Und wie heißt Guten Tag auf Algebra?“ So ähnlich wie der kleinen Sophia erging es mir, wenn ich im Kollegenkreis über meine Themen an der Hochschule sprach. Dass man mit Büroklammern die Begrifflichkeiten Chaos und Kontrolle in der Gestaltung vermitteln oder die Synästhesie als Grundlage für ästhetisches Gestalten und Erleben verstehen kann, erschien vielen doch eher „ungewöhnlich“.

Dabei geht es in der Hochschullehre um die Entwicklung der kognitiven und der nicht-kognitiven Fähigkeiten der Studierenden – Fachwissen und Neugier kombinieren. Mit einer solchen Synthese lassen sich (vermeintlich logische) Grenzen überwinden und (versteckte kreative) Freiräume gewinnen. In meinen Veranstaltungen beschäftigte mich und die Studierenden die Frage, wie Entwicklung zustande kommt und wie Zukunft zu gestalten ist – im Design, in Unternehmen, in der Wirtschaft. Meine Studienprojekte sind geprägt gewesen durch eine intellektuelle Lust, unbekanntes Terrain zu erkunden, entfernt Liegendes gedanklich miteinander zu verknüpfen und Strategien für die Zukunft zu entwerfen. Das heißt, Kreative zu hochprofessionellen ManagerInnen zu entwickeln. Und umgekehrt: Aus ManagerInnen sind fantasievolle GestalterInnen zu machen. 

Zwar stand in meiner Lehre das Thema der Zukunftsgestaltung im Vordergrund, dennoch galt es die Gegenwart zu verstehen. Alle Problemstellungen und Aufgaben korrespondierten mit dem aktuellen Geschehen in Wirtschaft und Gesellschaft. Denn: Wie kann man von jemanden erwarten, die Zukunft zu gestalten, wenn dieser nicht die Gegenwart analysieren und interpretieren kann?

Im Grunde fokussiert meine Lehre darauf, bei GestalterInnen ein hermeneutisches Verständnis von Welt zu entwickeln. Nur so können sie auch disparate Phänomene zusammenbringen und Zukunft antizipieren. So reden wir zum Beispiel viel über Trends, sind aber erstaunt, wenn plötzlich die chinesischen Autos grinsend den Parkplatz besetzen. Weitere Beispiele gibt es genug. Hermeneutisches Basiswissen sollte zur Grundausstattung von ZukunftsgestalterInnen gehören. Andernfalls gibt es demnächst einen Witz, der aus Zukunftsgestaltung Zukunftsbestattung macht. Auf diese Pointe können wir verzichten!Meinem Verständnis von Zukunftsgestaltung liegt eine Emulsion aus Kunst und Wissenschaft zugrunde, die immer wieder neu geschüttelt werden muss, um ihre Wirkung entfalten zu können. Ich weiß, dass die junge Generation genügend kreatives Potenzial hat, um gerechte und fortschrittliche Zukunft zu gestalten.