Leerbuch ZukunftsgestalterIn: Gegen den Zeitgeist, aber für mehr Geist in der Gestaltung

Als ich 2002 meine erste Professur für Design und Management antrat, ahnte ich nicht, dass die Zukunft derart viele Echokammern, Silos und Blasen hervorbringen wird. Inzwischen hat es selbst die kreative Zunft erwischt. Auch in meiner Domäne wird der kritische Austausch, der Disput zwischen Andersdenkenden, die Auseinandersetzung mit divergierenden Zukünften gemieden. Erik Spiekermann brachte es auf die Formel „Rethink Design & Redesign Thinking“. Und Hartmut Esslinger plädiert für ein neues Design-Curriculum unter der Überschrift „Design4Industry“. Beide Appelle sind für mich ein Zeichen, dass die De-Intellektualisierung im Design gestoppt werden muss.

Was ich Anfang der 2000er Jahre auch nicht für möglich gehalten habe, ist dieses Gesellschaftsgift der gefühlten Wahrheit. Man braucht eigentlich immer weniger Wissen, um eine Meinung zu haben und die auch noch laut kundzutun. Zuerst habe ich das nur für ein Phänomen von bildungsfernen BürgerInnen gehalten. Inzwischen sind davon selbst promovierte PolitikerInnen aller Parteien erfasst. Ich empfinde das als aberwitzig, weil ich eigentlich auf das Konstrukt der Wissensgesellschaft und die Entwicklung zur Verwissenschaftlichung der Arbeitswelt vertraut habe. Wie weit eine Gesellschaft mit einem „gefühlten Fortschritt“ kommt, wird sich zeigen …

Die Gleichzeitigkeit dieser beiden Phänomene – nur mit Seinesgleichen diskutieren und Gefühle über Wissen zu stellen – macht jede seriöse Auseinandersetzung mit Zukunftsgestaltung fast unmöglich. Man weiß nicht, in welcher (Echo-)Schlucht man mit neuen Ideen landet und genauso wenig weiß man, wessen Gefühle dadurch negativ oder auch positiv getriggert werden. Aber: No Risk, no Fun! 

In den letzten 20 Jahren hat sich auch meine Einstellung zum Design weiterentwickelt. Ich denke, das Design muss wieder Teil der Lösung sein und nicht mehr des Problems. Die Sichtweise, dass Design ein Wettbewerbsinstrument der Wirtschaft sei, ist mir inzwischen zu unambitioniert. Wenn Design nur instrumentell gesehen wird, ist es „unter Wert verkauft“. Andererseits: Design auf eine „Sehenswürdigkeit“ im Unternehmen zu reduzieren, heißt, der Disziplin die gesellschaftliche Relevanz abzusprechen. Design respektive DesignerInnen sind intelligenter Teil eines komplexen Ganzen – nämlich der Zukunftsgestaltung ganzer Gesellschaften. 

Teil 3 vom „Leerbuch für ZukunftsgestalterInnen“ thematisiert die Herausforderungen für das Management in Zeiten polyvalenter Veränderung. Zukunftsgestaltung ist hier ein offener Möglichkeitsraum, der durch vier Begriffe strukturiert wird – Zukunftsmanagement, Transformationsmanagement, Innovationsmanagement und Umsetzungsmanagement. Der Begriff Management ist deswegen so prominent, weil er eben mehr als nur „Create“ umfasst – es geht um die Spannweite von der evolutionären zur operativen Ebene.Ja, Zukunftsgestaltung ist ein Kampf gegen den Zeitgeist und für mehr Geist in der Gestaltung!

Bildquelle: Eigenes Foto