Atypische Branche mit typischen Sorgen

Nun ist es soweit: Auch in der Kultur- und Kreativwirtschaft ist der Fachkräftemangel angekommen. Thematisiert wurde dieser erstmals anlässlich des 1. Fachkräftekongresses der Kultur- und Kreativwirtschaft. Damit gerieten Sorgen ins Blickfeld, die auch andere „typische“ Branchen plagen. Diese wissen aber, sich Gehör zu verschaffen. Die kreative Querschnittsbranche dagegen erreicht selten die öffentliche Wahrnehmung – trotz ihrer enormen wirtschaftlichen Bedeutung. Immerhin liegt sie gleichauf mit Schwergewichten wie Maschinen- und Fahrzeugbau, wenn man Merkmale wie Bruttowertschöpfung und Beschäftigtenzahlen vergleicht.

Doch trotz ihrer volkswirtschaftlichen Meriten kommt die Kreativbranche eher atypisch ohne große Allüren daher. Dies bestätigte auch Andrea Nahles. Die Vorstandsvorsitzende der Agentur für Arbeit und ehemalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales hob in ihrer Rede hervor, dass eigentlich alle Branchen einen Fuß in der Tür zu ihrer Institution hätten – nicht aber die Kultur- und Kreativwirtschaft. Dies soll nun anders werden, war auf dem Kongress zu hören.

Sicher ist es gut, wenn die Politik Unterstützung zusagt. Aber ist der Fachkräftemangel nicht auch ein hausgemachtes Problem? Wie konnte es dazu in einer Branche kommen, die eigentlich immer mehr Interessenten als Jobs hatte? Einige Hinweise lassen sich aus der Struktur der Branche ableiten, wie ich sie im Rahmen meiner Dissertation analysierte (Kern 2020: 123ff.): Die Kultur- und Kreativwirtschaft besteht aus elf Teilbranchen, die auf den ersten Blick wenig verbindet – von Musik, Film und Presse über Architektur und Design bis zu Werbung und Software-/Games-Industrie. Und doch gibt es ein Muster, das sie zusammenhält: Die Einzelbranchen definieren sich sowohl über ihren schöpferischen Akt als auch über ihre erwerbswirtschaftliche Ausrichtung.

Kann es sein, dass in der Ausbildung der schöpferische und singuläre Akt überbetont und dagegen die erwerbswirtschaftliche und damit branchenkompatible Ausrichtung vernachlässigt wird? Vielleicht fehlt es ja an kreativen, betriebswirtschaftlich fundierten Ausbildungsangeboten, die statt einer Engführung in spezifische Berufe eine optionale Vielfalt am Stellenmarkt zulassen. Und wie geht die Branche mit den verbindenden Spezifika ihrer elf Teilbranchen um? Z.B. mit ihrer Kleinteiligkeit, ihrer Innovationsstärke und Verwertungsschwäche und ihren atypischen Erwerbsformen? Und spielt in den Hochschulen der Kreativwirtschaft Employability – seit 2009 ein generelles Bildungsziel – überhaupt eine Rolle? Wird nicht auf eine spezialisierte Kernkompetenz hin ausgebildet, statt generalisierbare Schlüsselkompetenzen mit zu entwickeln?

Sicherlich ist flankierende Hilfe von der Politik wichtig, aber letztlich zählen die internen Erneuerungsprozesse, damit die Kreativbranche auch weiterhin floriert. Kreatives und innovatives Potenzial hat sie schließlich in Hülle und Fülle …

Link: https://www.youtube.com/watch?v=Vth4KneAfYg