Podcast: Mehr Professionalität als Postulat für die Politik

Bitte mehr Professionalität! Meine Antwort auf die Frage, was wünsche ich mir von einer Politik der Zukunft? Gestellt von Claudia Lutschewitz von Servant Politics in einem Interview für einen Podcast (September 2021). Professionalität ist zum einen die Abwesenheit von „Pleiten, Pech und Pannen“, die vor und während des Wahlkampfes passiert sind und hoffentlich nach der Wahl als abgestellt betrachtet werden können. Zum anderen ist es aber auch die Neugestaltung der Beziehung zwischen Politik und Wirtschaft, die weit über die Subventionierung einzelner Branchen hinausgeht. Diese Beziehung muss auf Augenhöhe stattfinden und von deutlichem Gestaltungswillen getragen sein. 

Man kann Transformation auch als ein politisches Geschäftsmodell verstehen und danach seine Einflussmöglichkeiten ausrichten. Meine Idee ist, dass ein “Bundesministerium für Transformation, Innovation und Nachhaltigkeit“ als zentrale Steuerungsinstanz neu etabliert wird und beispielsweise als Counterpart für diese Initiative von Managerinnen (siehe „Managerinnen warnen: Uhr für Deutschlands Wirtschaft tickt“, faz.net 9.9.2021) dient. Und wenn es stimmt, was in ihrem Thesenpapier behauptet wird, dass es nur ein Zeitfenster von drei bis fünf Jahren gibt, zeugt dies von dem Handlungsdruck in der kommenden Legislaturperiode. 

Ja, ich weiß, es gibt unendliche Hindernisse und Gründe, diese Prognose sofort ad acta zu legen. Aber Steine, die einem in den Weg gelegt werden, und Knüppel, die einem zwischen die Beine geworfen werden, können auch gutes Baumaterial sein. Es braucht die Motivation und das Management, die Möglichkeit und die Methoden. 

Vielleicht sollte man sich dafür ein junges, ehrgeiziges und politisch diverses Team zusammenstellen, das auch bereit ist, Hürden zu überwinden und neue Wege zu eröffnen. Ich finde, Aktionen wie diese 6-Punkte-Agenda, sollten offensiv angegangen und als konstruktives Angebot zur Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft verstanden werden. Das Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Wohlstand muss dringend neu organisiert werden, so meine Auffassung. 

Sind wir nur noch die Domestiken unserer eigenen Begierden?

Die inzwischen als völlig selbstverständlich benutzte Äußerung „Wir leben im Überfluss!“ verharmlost einen Zustand, der apokalyptische Ausmaße annehmen kann. Wir (die Wohlstandsgesellschaft) wollen das nicht wahrhaben oder denken, dass es uns nichts angeht. Im Gegenteil, viele Menschen unter uns empfinden diesen Zustand als normal und meinen sogar, dass er ihnen dieser Überfluss zusteht. 

Sie finden es okay, wenn sie ihre Garage zumüllen und ihr Auto auf der Straße abstellen. Und wehe, wenn sie länger als 5 Minuten einen Parkplatz suchen müssen … Bei Statista vom 8.9.2021 heißt es: „Rekord beim Bestand an Personenkraftwagen in Deutschland – die Anzahl der in der Bundesrepublik gemeldeten Pkw erreichte am 1. Januar des Jahres 2021 mit rund 48,25 Millionen Fahrzeugen den höchsten Wert aller Zeiten.“ Korreliert man dies mit der Einwohnerzahl von rund 83 Mio. Menschen in Deutschland, dann besitzt demnach mehr als jeder Zweite ein Auto! Noch krasser wird die Relation, wenn man die unter 18-jährigen und die über 75-jährigen Menschen abzieht. Der Trend geht zum Zweit- und Drittauto (Welt vom 15.09.2021)! 

Völlig abstrus finde ich auch die Relation unserer Einwohnerzahl zu den rund 200 Mio. Handys. 

Oder nehmen Sie die Lebensmittelabfälle – 12 Mio. Tonnen landen pro Jahr im Müll. Wenn es zutrifft, dass ein Deutscher im Jahr rund 330 Kilogramm Lebensmittel verspeist (Deutsche Gesellschaft für Ernährung vom 7.1.2021), dann könnte allein von unserem Lebensmittel-“Müll“ ein Land wie Afghanistan ernährt werden. 

Ich bin sicher, wenn man mal genauer hinschaut, finden sich weitere Merkwürdigkeiten, die im Grunde mit Wohlstand nichts mehr zu tun haben.

In diesem Podcast mit Claudia Lutschewitz (ServantPolitics) ist mir in diesem Zusammenhang das Wort „Wohlstandsporno“ rausgerutscht. Meine radikale Wortwahl überraschte mich selbst. Aber wie ist Pornografie zu definieren? In einem Gerichtsurteil von 1974 hieß es: „grobe Darstellungen des Sexuellen, die in einer den Sexualtrieb aufstachelnden Weise den Menschen zum bloßen, auswechselbaren Objekt geschlechtlicher Begierde degradiert“. Ob der Mensch mit seiner Konsumwelt nicht selber auch zu einem auswechselbaren Objekt geworden ist? Oder zum Domestiken seiner materiellen Begierden? 

Link: https://servant-politics-podcast.podigee.io/s1e2-neue-episode

Bildquelle: PhotoAlto (James Hardy)