Sicher gibt es aktuell wesentlich wichtigere Themen, als sich mit Marken auseinanderzusetzen. Aber genau das ist das Problem der Marken. Als Verantwortlicher in einem Unternehmen würde ich mir deswegen große Sorgen machen und ins Grübeln kommen. Die multiple Krisensituation und die sich in der Bevölkerung ausbreitende Angst vor Wohlstandsverlusten führen zu einer Verschiebung der Prioritäten im Konsumverhalten. Beispielhafte Anzeichen eines im Alltag angekommen Paradigmenwechsels der Gesellschaft sind die Auseinandersetzung der Einzelhändler mit den großen Markenunternehmen, die Sorgen der Touristikbranche vor dem nächsten Sommer bis hin zum Strategieschwenk der Premiummarke mit dem Stern.
Auch ich hätte mich nicht so intensiv mit Marken und ihrer Problematik beschäftigt, hätte ich nicht von Klaus Kofler die Einladung zur Gesprächsreihe „Zukunftsstorys“ erhalten. In diesem Jahr lautet das Thema des Disputs „Markenmacht und Moral: Zwischen Profit und Nachhaltigkeit“ und findet am 16.11.2023 im österreichischem Dornbirn statt. Mit am Tisch sitzt Sergej Kreibich, Strategie- und Kommunikationsexperte. Die Planung der Veranstaltung liegt bei der Future Design Akademie, deren Ansprechpartnerin Christina Schweizer ist. Die von der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung geförderte Veranstaltungsreihe „für verantwortungsvolle und mutige Zukunftsdenkende“ regt dazu an, „neue Denk-, Sicht- und Möglichkeitsräume kennen zu lernen“.
Seit der Einladung hatte ich „Zeit zum Nachdenken“ und das Ergebnis findet sich in einem Themendiskurs mit 49 Essays, die auf aktuelle Ereignisse und Erkenntnisse unter dem Rubrum der „Markenkritik“ reflektieren. Die einzelnen Essays sind in sechs Gruppen zusammengefasst, die verschiedene Beziehungen rund um Marken behandeln. Diese reichen von Marke und Gesellschaft über Marke und Management bis zu Marke und Metaebene. In den Gruppen finden sich zwei Arten von Essays – die einen ordnen markenrelevante Themen in kritischen Kommentaren ein, während die anderen Essays auf wissenschaftliche Kontexte rekurrieren und in eigenen Infografiken wesentliche Aussagen kommunizieren. Was allen Essays zugrunde liegt, ist die Aufforderung an die LeserInnen zur Reibung. Fühlt sich der Rezipient provoziert und denkt selbst dadurch weiter, ist der Zweck meines Nachdenkens und Aufschreibens erfüllt.Allen Essays liegt die Annahme zugrunde, dass das Konstrukt der Marke der umfassenden Erneuerung bedarf. Und hier geht es nicht um die gestalterische und typografische Modifizierung eines Logos, sondern um ethische Sinnhaftigkeit von Unternehmen und Produkten. Die Wirtschaft wird sich im Kontext der gesellschaftlichen Verwerfungen in ihrer intellektuellen Wettbewerbsfähigkeit neu erfinden müssen, weil die alten Rezepte nicht mehr für die Transformation taugen. Die Renaissance der Marke auf einem anspruchsvolleren Niveau steht an …