Denkverbote sind verboten!

Fantasie und Kreativität werden überlebenswichtig! Vorstellungskraft ist nicht das Privileg von künstlerischen Menschen, sondern eine allgemein menschliche Begabung. Und sie sind nicht nur Menschen mit guten Absichten eigen, sondern auch „bösen“ Menschen. Der klassische Gut-Mensch unterstellt, dass alle in Frieden leben wollen und auch können. Dabei ist uns jetzt klar geworden, dass das abgründig Böse mit allen seinen Facetten und Optionen zu antizipieren ist. In der Hoffnung, dass es bloß ein (böses) Spiel bleibt! 

Wenn das französische Verteidigungsministerium für sein „Red Team“ Science-Fiction-Autoren einstellt, dann macht es dies, weil wir inzwischen lernen, dass die Realität schnell sehr viel übler werden kann, als wir es uns vorstellen. Nein, da werden keine Game-DesignerInnen eingekauft, die dann auf Staatskosten irgendwelche Ego-Shooter-Spiele realisieren. Es werden komplexe Szenarien en détail entwickelt, die vielleicht bei der ABC-Kriegsführung anfangen zu den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) übergehen und ganz sicher nicht bei der Überflutung großer Gebiete aufhören – das Undenkbare denken. Klingt gruselig, aber Apokalypsen und Dystopien werden auf Vorrat imaginiert und durchgespielt. In diesem Fall ist Fantasie keine Sache für Fantasten, sondern für kluge, recherchierende und interpretierende Kreative, die dezidierte und elaborierte Konzepte entwerfen können. Daraus werden Denkmodelle und Entscheidungsgrundlagen für politische Weichenstellungen, die sowohl militärisch als auch gesellschaftlich relevant sind. Diese fiktiven Zukünfte sind wissenschaftlich plausibel und implizieren eine Komplexität, die in die Kategorie der „Wicked Problems“ passt. So gibt es in den Simulationen der Strategien kein richtig oder falsch, sondern nur ein „Möglich unter bestimmten Umständen“. 

Warum ist Science Fiction politisch relevant? Weil wir fälschlicherweise dachten, Krieg findet immer woanders statt. Und doch steht er jetzt vor unserer Haustür und zeigt seine ganze Unkalkulierbarkeit, Irrationalität und psychopathische Struktur. Eine Struktur, in der final gedacht wird, weil es nicht ums Gewinnen, sondern Vernichten geht. Die Reaktion darauf darf nicht so aussehen, dass der Konflikt um jeden Preis vermieden und nur in disziplinarischen Korridoren gedacht wird. Gerade angesichts der Tragweite der Problematik dürfen wir es uns nicht länger verbieten, tatsächlich interdisziplinär zu denken und zu handeln. 

Wer in einem Verteidigungskrieg oder auch in einem extremen Verdrängungswettbewerb nach Game Changern sucht, muss das Vor-Denken beherrschen – hierzu gehört die abduktive Frage „Was wäre wenn?“ und ein modellierendes Forschungsverständnis, um aus der deskriptiven Vorstellung in die präskriptive Machbarkeit zu kommen. Und das dürfte der Grund sein, warum das französische Verteidigungsministerium in seinem „Red Team“ DesignerInnen diverser Disziplinen beschäftigt. Ihre Fähigkeiten liegen in einer Form der Imagination, die sowohl Begriffssysteme als auch Bilderwelten in synchroner Weise verarbeitet. Das Design als Emulsion aus Wissenschaft und Kunst interpretiert die schwachen Signale aus Wirtschaft und Technik und gibt diesen eine diskutierbare Gestalt – als Basis für zukunftsweisende Konsequenzen. Science Fiction ist eine reale Option. Und Denkverbote sich verboten!

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Bildquelle: Eigenes Bild