Aus heiterem Himmel werden banale Alltagsgegenstände zu Kult-Produkten. So dieser Thermobecher aus Stahl, ursprünglich für die Zielgruppe der Bauarbeiter gedacht („Ein Stahlbecher für das Klima?“, FAZ 9.3.24). Jetzt aber wird er von hippen Menschen in hippen Farben weltweit gehypt. Preisgünstig? Fehlanzeige!
„Kult“ ist keine inhärente Eigenschaft eines Gegenstandes. Sie wird durch passende Kommunikation und kompatible Protagonisten erst erzeugt. An der formal-ästhetischen Gestaltung des Stahlbechers kann das „Kultige“ jedenfalls nicht liegen. Denn die ist unaufgeregt geometrisch, praktisch in der Handhabung und durchweg funktional gestaltet. Und dieser antennenartige Trinkhalm ist „Geschmackssache“. Wir sind bei einer Produkt-Analyse angelangt, die z.B. eine Rolle spielt, wenn man als Lehrender die Design-Entwürfe von Studierenden beurteilt. Ein solcher Prozess sollte wiederholbar sein, die Kriterien hierfür transparent und die Argumentation nachvollziehbar.
Produkt-Analysen sind wesentlich in Produkt-Tests. Denn diese beeinflussen Kunden-Entscheidungen. Will doch kein Unternehmen falsch bewertet werden. Die Tests in der SZ lese ich gerne. Sie sind informativ und unterhaltsam geschrieben. Neulich fand ich den Test zu Thermobechern („Noch ganz dicht“, SZ 22.2.24), der mich ins Grübeln brachte. Handelt es sich doch eigentlich um eine Design-Bewertung, die hier eine junge Barista vornahm. Freut mich, weil offenbar das Design-Knowhow so ins Allgemeinwissen diffundiert ist, dass Laien imstande sind, Gestaltungsqualität zu beurteilen. Ihr Testsieger zeichnete sich auch dadurch aus, dass der Kaffee nach mehr als drei Stunden ohne aromatische Einbuße noch heiß war. Alle weiteren positiven Aspekte bezogen sich auf das Design.
Mich erinnerte das an meine ersten Gehversuche als junger Designwissenschaftler Anfang der 1980er Jahre. Ich durfte in einem großen Forschungsprojekt über Arbeitssitze zwei Gutachten verfassen. Als Novize war ich darauf bedacht, alle Regeln einer wissenschaftlichen Begutachtung einzuhalten. Herausfordernd war, dass sowohl die formal-ästhetische als auch die ergonomische Qualität separat zu beschreiben und zu bewerten waren. Es durfte nicht zu unsauberen Verbalisierungen kommen und die Methoden mussten sich differenzieren. Zudem wirkten im Forschungsprojekt WissenschaftlerInnen anderer Disziplinen mit. Nachvollziehbarkeit und Transparenz waren genauestens zu beachten. Offenbar bekam ich die Kurve. Führten doch die Ergebnisse zu Fachveröffentlichungen, in denen ich Kriterien, Argumentation, Skalierung und Prozess vorstellte.
Ich denke, das heutige Design müsste seine Forschungskompetenz elaborierter profilieren und kompetenter publizieren. Angesichts der großen Probleme dieser Welt und der anstehenden Transformation kann und muss das Design seinen Beitrag leisten. Andernfalls können das demnächst andere Domänen – siehe Thermobecher …