Kriegen wir die Kurve?

Vor knapp 20 Jahren erschien in der FAZ ein Artikel mit der Überschrift „Europa als Museum der Zukunft?“ Berichtet wurde über einen brasilianischen Ex-Finanzminister, der eine zugespitzte These über die künftige globale Arbeitsteilung aufgestellt hatte. Die Zukunft Europas sah er dabei als Museum. Angeblich soll keiner der damals anwesenden Politiker dieser provozierenden Prognose widersprochen haben. Punktlandung? Ganz ohne Zweifel sind Museen wichtig und wundervolle Orte der Kontemplation und auch der Inspiration. Allerdings scheint mir dies keine erstrebenswerte Perspektive für unseren Kontinent zu sein.

Warum ich damit beginne? Weil Museen keine Zufallsprodukte sind, sondern das Ergebnis vorausgegangener Überlegungen, Visionen und Pläne. Nun hat in der Realität kein Mensch tatsächlich geplant, Europa zu einem Museum werden zu lassen. Aber leider auch nicht zu einem Entwicklungszentrum für neue Produkte und Prozesse, neue Professionalitäten und Perspektiven. Zukunft ist immer die Folge von Vergangenheit, in der die Weichen entweder gestellt werden – oder eben auch nicht. Zukunft beginnt immer im Kopf, weil es den Wunsch nach Verbesserung und die Vorstellung neuer Wirklichkeiten gibt. Ja, Zukunft hat auch mit Angst vor der Ungewissheit zu tun, deswegen will man diese in seinem eigenen Sinne, zu seiner eigenen Sicherheit gestalten. 

Ja, Handlung tut not. Glaubt man Stefan Schaible, Chef „der größten deutschen Managementberatung“ Roland Berger, dann steht Deutschland und seine Wirtschaft „vor der größten Transformation ihrer Geschichte“. Auch wenn seiner Meinung nach die Krise „noch im Schlafwagen“ liegt, ist Eile geboten: „auf Zeit zu spielen“ kann sich niemand mehr leisten. Selbst wenn man hier Argumentation pro domo einer Consulting-Gesellschaft unterstellt, liegt es auf der Hand, dass wir Nachholbedarf in puncto Zukunftsgestaltung haben. Unsere Bildungselite ist gut im Analysieren und Kommentieren des Gesellschaftsgeschehens, unsere Politik ist gut im Reparieren und Polieren, aber unsere Defizite im Realisieren neuer Möglichkeitsräume sind offenkundig. Vielleicht Ist es der Zeitgeist, dass wir uns als Gesellschaft so extrem retrospektiv und wenig zupackend verhalten. Stattdessen müssten wir schon längst im Umbruch-mit-Aufbruch-Modus sein. Und warum beschäftigen wir uns so intensiv und nervend mit uns selbst? Die Politik übt sich im gegenseitigen Knüppel zwischen die Beine werfen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben ihre wechselseitige Zugewandtheit vergessen und die Öffentliche Verwaltung vermonstert ihre Bürokratie. Es wird Zeit, ein gemeinsames Zukunftsbild zu entwickeln, für die Gesellschaft verbindliche Werte neu zu definieren und ins Handeln zu kommen. Das geht, wenn jeder ein Stück zurücktritt und nicht nur seine Vorteile im Blick hat. 

Wenn all das nicht schleunigst passiert, sind wir wirklich auf dem Weg ins Museum. Kriegen wir noch die Kurve Richtung Zukunft?

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/dienstleister/roland-berger-chef-in-dieser-krise-wird-es-keinen-druck-durch-arbeitslosigkeit-geben/100018843.html

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