Die stille Revolution in der Bildung

Manche Umbrüche kommen auf leisen Sohlen. Wenn heute Hochschulen das Ziel beruflicher Relevanz auf ihrer Agenda haben, so wäre das noch vor 50 Jahren undenkbar gewesen. Bis in die 1970er Jahre verlief eine klare Trennlinie zwischen akademischer und beruflicher Bildung. Von Durchlässigkeit keine Spur. Auch wenn heute die Verzahnung der beiden Bereiche noch viele Wünsche offenlässt, wie z.B. das CHE Centrum für Hochschulentwicklung erst unlängst in ihrer Broschüre „Gut verbunden?“ darlegte, hat sich doch in den letzten Jahrzehnten ein grundlegender Wandel vollzogen – allerdings eher geräuschlos für die Wahrnehmung in der breiten Öffentlichkeit. 

Bewusst wurde mir dies im Rahmen meiner Forschungsarbeit zum Thema Employability (Kern 2020). In einer ideengeschichtlichen Synopse zusammengefasst, zeigt sich die tektonische Verschiebung zwischen Hochschul- und Berufsbildung: Begonnen hat dieser Prozess, als in den 1970er Jahren Fachhochschulen als anwendungsorientierte Institutionen gegründet und duale Studiengänge in Verbindung von Studium und Ausbildung eingeführt wurden. Theoretisch begleitet wurde dies durch die Berufspädagogik. Sie entwickelte das Konzept der Beruflichkeit, das von konkreten Berufsstrukturen abstrahiert und allgemeine Prinzipien bestimmt. Ein wichtiges Datum in diesem Kontext ist 1976, als erstmals die Aufgabe der Berufsqualifikation im Hochschulrahmengesetz aufgenommen wurde. Es handelte sich sozusagen um den Vorläufer der späteren Employability-Anforderung für Hochschulen, wie sie 1999 mit der Bologna-Deklaration europaweit festgeschrieben wurde, wenn auch zunächst in einem engen Verständnis. Zeitgleich wurde die Krise der Beruflichkeit ausgerufen. Angesichts einer hohen Arbeitsmarktdynamik und sich zum Teil auflösender Berufsstrukturen debattierte die Berufspädagogik die Frage, ob das Berufskonzept noch zeitgemäß ist.

Ein weiterer Meilenstein in dieser Entwicklung wurde im Jahr 2009 erreicht, als erstmals mehr Studierende als Auszubildende zu verzeichnen waren. Die Universalisierung von Hochschulbildung war unübersehbar. Kein Zufall ist es, dass in der Folge das Employability-Konzept an Hochschulen eine gewisse Rehabilitierung erfuhr. War es bisher eher das fünfte Rad am akademischen Wagen, so wurde nun entdeckt, dass es durchaus das akademische Kompetenzprofil bereichern könnte. Aber auch in der Berufspädagogik tat sich was: Hier wurde das Konzept der erweiterten, modernen Beruflichkeit unter Einschluss akademischer Kompetenzen entwickelt. Beide Seiten – Hochschulbildung und Berufsbildung – bewegten sich damit auch konzeptionell aufeinander zu. Zu hoffen ist, dass diese stille Revolution weitergeht. In einem langsamen, mühsamen Prozess sind Bildungsbiographien individueller, durchlässiger und flexibler geworden – zugleich wissenschaftsbasiert und auf eine innovative berufliche Praxis orientiert. Die anstehende Transformation unserer Gesellschaft kann sicherlich mehr davon gebrauchen …

Bildquelle: Eigenes Bild