Viva la Kultur-Revolution!

Wenn jetzt der 50. Geburtstag des VW Golf gefeiert wird, erinnere ich mich an meine Zeit als Industrial Design-Student an der Kunsthochschule Braunschweig. Zwischen uns Studierenden gab es rege Diskussionen zum Design des Käfer-Nachfolgers. Die Geometrie der Grundform, die extreme Betonung des Kühlergrills als Horizontale und sein funktionales Armaturenbrett waren Themen, die begeisterten.

Während sich die Kommilitonen auf die Produkt-Innovation, also auf das Auto selbst, fokussierten, interessierte mich mehr die Radikalität des Denkens und Handelns, also die Prozess-Innovation, die den Konzern vor der Pleite rettete. Ich verstand damals, dass die Qualität des sichtbaren Ergebnisses nur eine Folge der vorherigen unsichtbaren Prozesse ist. Sicher begünstigte die existenzielle Krise von VW den radikalen Schnitt und rasanten Schritt. Sind hier nicht Parallelen zur heutigen Situation vieler Unternehmen zu ziehen?

So hatte das VW-Management erkannt, dass es eine sprunghafte Innovation fürs Produkt und eine strukturelle Erneuerung der Prozesse brauchte, um aus dem Strudel der Selbst-Reproduktion auszubrechen. Und es musste sich aus der Sicherheit der operativen Routinen in die Zone der normativen Risiken begeben. Bisher technokratisch motivierte Entscheidungen wurden angesichts des Damoklesschwerts des Scheiterns mit bisher ungeahnter Kreativität und Risikobereitschaft getroffen. Das kam einer Kultur-Revolution gleich! 

Im damaligen Golf manifestiert sich die kongeniale Synergie zwischen Design und Management. Statt sich hinter alten Konzepten zu verstecken, ging man in die Offensive mithilfe systemischer Innovationen. Vielleicht war das der Moment, in dem ich meine „Berufung“ für Designmanagement entdeckte. Dabei faszinierten mich ganzheitliche, also holistische Innovationsstrategien mehr als einzelne Projekte. Im Übrigen gilt auch heute noch meine Begeisterung Denkmodellen, die eine Problematik strukturieren und die Welt zu verstehen helfen. Letzteres heißt hermeneutisches Deuten und Interpretieren des Weltgeschehens. Es hilft dabei zu antizipieren, was von diesen Erkenntnissen relevant für unternehmerische Entwicklungen ist. 

Aus Sicht des Designmanagement braucht ein Unternehmen die Fähigkeit des Pre-Thinking in Kombination mit einem Re-Searching. Gerade das Management muss in seinen Strategien der Zeit voraus sein. Es muss Chancen im Markt wie auch Risiken seines Geschäftsmodells erspüren und angemessen darauf reagieren. Wie wird sich die Zukunft von der Gegenwart unterscheiden und welche Maßnahmen sind deswegen zur Evolution des eigentlichen Unternehmenszwecks erforderlich? Darauf aufbauend braucht es die Kompetenz des Pre-Designing, welche den Optionen der Zukunft eine diskutierbare Gestalt gibt. Und es erfordert auch ein Verständnis von Management, das die permanente Erneuerung des Unternehmens im Fokus hat – Unternehmen mit jeweils zeitgemäßer Potenzialität.

https://www.sueddeutsche.de/auto/volkswagen-50-jahre-golf-oldtimer-1.6430664

Bildquelle: Eigenes Bild