Wo bleiben die Zukunftskonzepte?

Ein wirkliches Beben lässt sich feststellen, wenn man den rasanten Umbau der Arbeitswelt analysiert. Die Geschäftsführerin des Weltwirtschaftsforums, Saadia Zahidi, resümierte jüngst im Handelsblatt die neuen Anforderungen: Fast die Hälfte der Qualifikationen von Beschäftigten in allen (!) Jobs muss sich ändern. Neben analytischem Denken, KI und Big Data fehlt es vor allem an kreativem Denken. Generalistische Fähigkeiten wie Technologieaffinität und soziale Kompetenz sollten in das Curriculum aller Studierenden gehören. 

Die Forderungen kann ich nur bestätigen. Bei meiner Forschungsarbeit zum Thema Employability von Hochschulbildung (Kern 2020) untersuchte ich den strukturellen Wandel der Arbeitswelt als Kennzeichen der Wissensgesellschaft. Was zutage kam, stellt das traditionelle Bild von Arbeit in Frage. Die Zunahme anspruchsvoller Wissensarbeit bei gleichzeitiger Abnahme von Routinetätigkeiten ist Indikator einer Verwissenschaftlichung von Arbeit. Dem entspricht zwar bereits die wachsende Akademisierung der Abschlüsse. Es fehlt aber an einer Employability, die nicht auf den Arbeitsmarkt im Hier und Jetzt vorbereitet, sondern auf die großen Zukunftsfragen. Und diese erfordern beständiges Lernen und Weiterlernen, die Entwicklung von Kreativität und kritischem Denken als Voraussetzung für innovative Teilhabe an wichtigen Veränderungen. 

Hier haben Hochschulen eine eminent wichtige Scharnierfunktion für die Zukunft der Gesellschaft. Zu häufig aber wird Employability als Vorbereitung auf den Status Quo der beruflichen Praxis abgetan, als Aufgabe, für die Studierende selbst verantwortlich sind. Dabei erfordert die gewandelte Arbeitswelt, dass nicht nur die Einzelnen, sondern gerade auch die strukturell agierenden Protagonisten wie Hochschulen und Unternehmen an Zukunftskonzepten arbeiten. Dass eine Konvergenz der Qualifizierungswege stattfindet – neben der Verwissenschaftlichung des Arbeitsmarktes auch eine Verberuflichung von Hochschulbildung –, ist in Teilen bereits zu beobachten. Hybride Bildungsmodelle wie duale Studienkonzepte sind ein Beispiel. Zu wenig reagiert wird aber auf die neuen Formen von Beruflichkeit, die derzeit tätigkeitsübergreifend entstehen. Untersuchungen zeigen, dass die fachliche Prägung von Berufen beständig abnimmt, während die unspezifische Verwissenschaftlichung zunimmt. Pädagogik und Publizistik sind Beispiele, aber auch Kunst und Design. Diese Entwicklung zieht sich wie eine breite Schneise durch viele berufliche Felder. Was heißt das für Studienkonzepte? Mehr Schlüsselkompetenzen im Sinne generalistischer Fähigkeiten, methodische Kompetenz im Sinne von kritischer Problemlösungsfähigkeit und mehr Kollaboration im Sinne zwischenmenschlicher Fähigkeiten.Die Zukunft der Arbeit werde disruptiv, sie müsse aber nicht dystopisch sein, resümiert die WEF-Chefin Zahidi. Ein beruhigender Appell an Bildungspolitik und Hochschulen – oder doch mehr eine Warnung?! 

Saadia Zahidi: „Neue Anforderungen an die Arbeitswelt“. In: Handelsblatt 14. Juli 2023

Bildquelle: Eigenes Bild