Ein Volk von Schläfern ohne Strategen?

Wow! Da geht die Post ab! Die Rede ist vom Handelsblatt-Interview (10.3.23) mit Peter Thiel, dem amerikanischen Milliardär und Tech-Investor mit deutschen Wurzeln. Wie nicht anders zu erwarten, geht es um das große Geld. So liest sich das Interview auch wie eine Geldzählmaschine, die ratzfatz die Scheine zusammenrechnet – aber nichts anderes draufhat. Ob das Interview auf der Titelseite wohl deswegen als „Die Abrechnung“ angekündigt ist? Dies relativiert sich im Innenteil. Dort lautet die Headline „Wir erleben gerade etwas Großes“. Und dieses „Große“ bezieht sich auf Technologie, mit der sich Geschichte schreiben lässt und die viel Geld verdient. 

Solche Themen haben heute eine eminente Relevanz und Brisanz, die nicht ernst genug genommen werden können.Leben wir doch in einer chaotischen Weltordnung, in der Kontroversen in Krieg münden, Klimawandel und Kulturkampf die Zivilisation auf eine harte Probe stellen. Wenn also ChatGPT respektive die KI (Künstliche Intelligenz) von Thiel als „historische Wende“ gesehen werden, dann frage ich mich, welche globalen Folgen das für eine Welt haben wird, die schon jetzt mit dem Nord-Süd-Gefälle und dem Ost-West-Konflikt überfordert scheint. Von der Diskrepanz zwischen Arm und Reich und der sich daraus ergebenden Sprengkraft ganz zu schweigen. Diese Entwicklungen dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen, halte ich für grob fahrlässig. So zeigt doch das Desaster um die Silicon Valley Bank (SVP), dass es an Verantwortung mangelt. Und wenn Thiel auf die Frage nach den Folgen der Automatisierung durch KI für die Wissensarbeit antwortet, dass man sich doch „eher auf die positiven Auswirkungen konzentrieren“ solle, dann scheint er die negativen Veränderungen zu ignorieren und vermutlich auf die Politik abzuwälzen. Für die Investoren den Profit und für die Gesellschaft die Probleme?

Wenn Thiel in seinem Interview von Deutschland spricht, dann ist man möglicherweise schnell geneigt, ihm zuzustimmen. Ja, wir haben „viele talentierte, gut ausgebildete Menschen“ und Ja, uns fehlt eine „kraftvolle, inspirierende Vision für die Zukunft“. Kann sein, dass wir uns durch unseren Wohlstand haben einlullen lassen – bis zur Ignoranz unserer eigenen Verblendung. Die Folgen der Abkehr von der Abhängigkeit russischer Energie haben uns aber gezeigt, dass unsere Lethargie nicht pathologisch ist, auch wenn unsere Lernkurve viel steiler sein könnte. In diesem Kontext hoffe ich, dass Thiels Metapher von den Deutschen nicht zutrifft, nämlich dass sich diese beim Einsammeln von Pfennigen vom Bulldozer plattwalzen lassen. Richtig erscheint mir aber sein Satz: „Es gibt sehr wenig strategisches Denken in Deutschland.“ Ist Zukunft für uns so selbstverständlich geworden, dass wir uns durch sie nicht mehr herausgefordert fühlen? Ein Volk von Schläfern ohne Strategen? Wir sollten unsere Fähigkeit des Nachdenkens mit der des Vormachens wieder reaktivieren …

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Bildquelle: DigitalVision