Die App für Junkies

Sind wir nicht alle ein bisschen Robert Oppenheimer? Schafft die Menschheit mit ihrer Genialität ein zerstörerisches Werkzeug, mit dem es sich selbst abschaffen kann? Haben nicht einige von uns schon jetzt ein schlechtes Gewissen wegen der Folgen? Und versuchen jetzt noch das Schlimmste zu verhindern? Robert Oppenheimer und seine Mannschaft schufen ein mächtiges Werkzeug, welches große Teile der Menschheit ausrotten und weite Teile der Erde unbewohnbar machen kann. Als er die tödlichen Kräfte der Atombombe erkannte, verurteilte er den weiteren Einsatz und setzte sich für die internationale Kontrolle der Kernenergie ein.

Wir, die Menschen, schufen durch unsere Neugier, Tatkraft und Intelligenz das Anthropozän, ein Zeitalter, das von dem Einfluss unserer Spezies auf die Prozesse der Erde dominiert wird. Inzwischen wissen wir, dass unsere Eingriffe auch viele negative Konsequenzen hatten und haben, die wir weder erkannten noch wollten. Was uns nicht unserer Verantwortung und der Aufgabe entbindet, diese Entwicklungen schnell zu revidieren und zu korrigieren. Dabei geht es nicht nur um die Folgen der Rohstoff-Ausbeute für die Natur oder um den verschwenderischen Umgang mit Wasser und die Einflüsse auf die Grundwasserspiegel vieler Orte. Es geht auch um ein System, das sich selbst den Ast absägt, auf dem es mit uns allen sitzt. Unser Wirtschaftssystem läuft offenbar mit ökonomisch-induzierten Scheuklappen durch die Lande. Der ehemals viel gepriesene Kapitalismus hat sich in unseren Breitengraden zum Kannibalismus gewandelt. Bleibt die Frage, wer frisst am Ende wen?

Nach Primark, Shein kommt jetzt Temu und schreibt die ökonomischen und ökologischen, die ethischen und ordnungspolitischen Paradigmen neu. Noch ist es nicht in allen Feinheiten der Konsequenzen erkennbar, aber es hat das Potenzial zu einem „Erdrutsch-Sieg“. Die Preise sind sensationell niedrig, das Marketing penetrant und das Risiko der exponentiellen Vermüllung enorm. Das Angebot mit App richtet sich an die Konsum-Junkies, die sich durch den schnellen Kauf den für sie notwendigen Kick geben und immer abhängiger werden. Die Plattform mit ihren Prämissen und Prinzipien ist selbstverständlich professionell und legal. Ob im Sinne unserer Zeit mit all ihren globalen Problemen noch legitim, wird die Gesellschaft beantworten müssen. Zumindest ich fühle mich in meinem Wirtschaftsverständnis herausgefordert und merke, dass ordnungspolitische Maßnahmen in diesem Kontext eine neue Brisanz und Qualität erhalten. Wie geht man mit dem um, was die eigene Wirtschaft inklusive der eigenen Umwelt nachhaltig verändern, gar schädigen kann? Verbieten! Aber haben wir uns nicht das Verbieten verboten? 

Der homo oeconomicus wird von den unglaublichen Profitchancen, der homo technicus von der sich extrem schnell drehenden Plattform fasziniert sei. Und der vernunftgesteuerte Mensch wird sich an den Kopf fassen.Ausgang offen?

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Bildquelle: PhotoAlto (James Hardy)