Die Minimierung der Personalpronomen

Ich und das Leben in fernen Galaxien: Im endlosen Universum leben unterentwickelte Zivilisationen, die auf Kolonialisierung warten. Bald werde ich Materie durch Raum und Zeit schicken. Ich stelle mir vor, dass ich und mein Wasserstoff-Porsche von Scotty zu den Außerirdischen gebeamt werden. Die Würdenträger der Aliens legen mir den roten Teppich aus, weil sie mich in meinem scharf geschnittenen Boss-Anzug als potenten Anführer meiner Spezies identifiziert haben. Cut! Die grünen Wesen werden sich abrollen vor Lachen, während ich mich als steifer Sack aus meinem weltraumweißen Statussymbol heraus quäle und versuche, wieder auf die Beine zu kommen. Wenn sie den Preis des Autos erfahren, fragen sie, warum ich denn dafür kein bequemeres Auto gekauft habe? Merke: Statussymbole funktionieren nur, wenn die Menschen in deiner Umgebung dieses Spiel mitspielen und voller Respekt dieses akzeptieren. Wenn nicht, sind Statussymbole pure Fantasie …

Aus stilistischen Gründen fängt dieser Text mit Ich an und enthält auch häufig in den ersten Zeilen dieses Wort. Warum? Nachdem ich den Bericht in der SZ über Statussymbole gelesen habe, denke ich, dass Besitzer von Statussymbolen alle Personalpronomen – außer dem Ich – ignorieren. Und von den Possessivpronomen ist auch nur Mein bzw. Meins übrig geblieben. Wer sich über die Zahl der Solarmodule auf dem Dach seiner Villa definiert, hat die Konsequenzen der Klimakrise und der Energiewende nicht verstanden. Und wer mit seinem 20.000 Euro teuren Outfit angibt, ist dekadent und sieht nicht, was in der Welt gerade passiert. Nicht besser ist es, wenn man sich 3x täglich mit Shein- und Temu-Klamotten umzieht, um besonders cool zu sein. Der Drang der Menschen, ihren sozialen Aufstieg mit den materiellen Attributen ihres neuen Wohlstands zu feiern und zur Schau zu stellen, ist auch nur Ich-bezogen. Wer ständig seine Selfie-Urlaubsfotos aus aller Welt in den sozialen Medien verbreiten muss, scheint sich nicht wirklich für die Kultur des Landes zu interessieren.

Wenn ich den SZ-Artikel richtig deute, taugen Statussymbole vor allem zur Selbstüberhöhung. Sie werden zu Machtinstrumenten und dienen nicht ausschließlich der sozialen Differenzierung – sie befeuern soziale Ab- und Ausgrenzung und setzen andere herab. Was sagt das über eine Gesellschaft aus? Noch mehr Haben und weniger Sein? Ich gebe an, also bin ich? Haben wir die Werte der Aufklärung wie Vernunft und rationales Handeln völlig vergessen? 

Vielleicht ist das alles nur folgerichtig und logisch in einer Welt, deren Sinn durch einen ausgeprägten Hang zur Individualität und einen extremen Materialismus zur Geltung kommt. Findet „Die Gesellschaft der Singularitäten“ (Andreas Reckwitz) zu ihren Wir-Werten und zum Respekt des menschlichen Daseins zurück? Jedenfalls liegen vor ihr jede Menge an Problemen, die ihr bei anhaltendem Wegducken schneller auf die Füße fallen werden, als sie ahnt.

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/lastenfahrrad-solaranlage-statussymbole-1.6262265

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