Betroffenheit und Berichterstattung – zwei streitbare Geschwister

Ist es nicht wundervoll, in einer Demokratie zu leben, in der man über alles mögliche abledern kann, ohne Angst zu haben, anschließend zu verschwinden? Ist diese Meinungs- und Handlungsfreiheit, die einem unsere Gesellschaft bietet, nicht ein großes Geschenk? Man kann dies oder das tun, jenes oder welches kaufen oder sich öffentlich-rechtlich oder privat „berieseln“ und informieren lassen. Ist es nicht ein unglaublicher Reichtum, dass wir für jedes erdenkliche Thema ExpertInnen haben, die auch noch Pro- und Contra-Positionen vertreten? Jeder hat die Möglichkeit, sich seine eigene Meinung aus den unterschiedlichsten Quellen zu bilden. Und obendrauf gibt es auch noch Medien, die die Meinungspluralität zum Programm erhoben haben und mit großer Reichweite kommunizieren.

Das vorneweg, um den Komplex ÖRR in den meines Erachtens wichtigen und richtigen Kontext zu stellen. Ich denke, dass jede Information, die wir als Mensch aufnehmen, uns verändert. Ob sie uns manipuliert, liegt nicht zuletzt auch an uns selbst. Die Frage für mich ist, unter welchen Bedingungen des eigenen Wissens werden von Journalisten Entscheidungen abverlangt und ab wann bilden Daten und Informationen bei ihren Rezipienten eine Meinung? Im Rahmen des weltpolitischen Geschehens halte ich es für eine krasse Überforderung, Neutralität zu erwarten und interpretationsfrei zu berichten. Komplexe, differenzierte Sachverhalte und dezidierte Entscheidungen brauchen die Intelligenz des Kollektivs und eine Informationsvielfalt aus unterschiedlichen und auch widersprüchlichen Quellen.

Jeder Text und auch jede Bildkomposition sind ein Gestaltungsvorgang und ein gleichzeitiger Entscheidungsprozess, der von einem Menschen als Autor vorgenommen wird. Schon die Auswahl von verbalem oder visuellem Kommunikationsmaterial als Fundus für synergetisch zusammenwirkende, sich verstärkende Konzeptelemente, ist an subjektiven, aber interindividuell verabredeten Kriterien ausgerichtet. Wenn Text und Bild zusammengeführt sind, folgt eine Finalisierung mit einer Optimierungsphase, die die Ansprüche des Absenders mit der erhofften Wirkung beim Rezipienten abgleicht. Inwieweit dabei die Grenzen zur Beeinflussung oder gar Manipulation überschritten werden, entscheiden die moralischen und ethischen Werte der verantwortlichen Institution und ihrer Macher. So hat die Werbung für ein Unternehmen oder ein Produkt logischerweise den Auftrag, jemanden zu einer Handlung, beispielsweise dem Kauf einer Ware, zu „verführen“.

Wesentlich in diesem Zusammenspiel ist der Mensch in seiner großen Varianz an Bildung und Intelligenz, an Gefühlen und Emotionen, an Reflexionsfähigkeit und kritischem Denken, an Geschichtsbewusstsein und an Zukunftsvertrauen sowie an Werten und ihrer Weiterentwicklung. Von einem Menschen, welcher kulturellen oder politischen Couleur und wissenschaftlichen oder handwerklichen Professionalität auch immer, Objektivität zu erwarten, gar zu verlangen, erscheint mir blauäugig. Selbstredend muss man von jedem, der seinen Beruf ausübt, die entsprechende Professionalität und Seriosität voraussetzen. Und natürlich stehen die, die an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligt sind, besonders unter Beobachtung. Allerdings gilt zu berücksichtigen, dass Medienberichte immer das Ergebnis der „Übersetzung“ von Ereignissen im Rahmen der Beziehung zwischen Thema und Beobachter (Journalist) sind. Hierzu gehören natürlich Transparenz und Nachvollziehbarkeit, aber von einem Menschen Neutralität zu verlangen, ist unrealistisch. In Anbetracht eines Themas wie der Flüchtlingskrise und der Aktivierung der großen menschlichen Gefühle wie Mitleid und Trauer, Erbarmen und Wut ist selbst journalistische Neutralität nicht einzuklagen. Betroffenheit und Berichterstattung ist ein schwieriges Geschwisterpaar …

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/wie-das-heute-journal-im-zdf-bild-und-ton-manipuliert-19091864.html

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/wulf-schmiese-antwortet-bernd-stegemann-19097295.html

Bildquelle: Eigenes Bild