Nur Sonntagsreden-tauglich?

Eine provokante These: „Über Interdisziplinarität wird viel gesprochen, oft ist es aber mehr Marketing als Realität.“ Wer das sagte, kennt sich aus. Max Roser forscht an der international renommierten Oxford Martin School, die interdisziplinär Lösungen sucht für die großen Probleme unserer Zeit. Als „Institut der großen Antworten“ wird die Forschungseinrichtung in der FAZ vom 03.06.2023 betitelt. Es ist also nicht irgendwer, der die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der fachübergreifenden Methodik beklagt. 

Ist denn Interdisziplinarität nur ein Aushängeschild? Für Sonntagsreden tauglich, ansonsten aber zu unbequem? Auch meine persönliche Erfahrung spricht für diese Vermutung. Zwar werben eigentlich alle Hochschulen mit dem Anspruch des Interdisziplinären, das Handeln sieht vielerorts aber anders aus. So stieß ich zunächst auf Ablehnung beim Versuch, mein interdisziplinär orientiertes Dissertationsthema an einer Hochschule zu verankern. Erst die Berufspädagogin Prof. Dr. Kirsten Lehmkuhl von der TU Berlin nahm mein Vorhaben an. Mit ihr konnte ich meine Forschungsmethodik entwickeln, sie mehrmethodisch und multiperspektivisch anlegen. 

Denn mein Analysefeld – die Employability von Hochschulbildung mit Blick auf designwissenschaftliche Studiengänge – war bisher wenig erschlossen. So ging ich fachübergreifend vor: über die Bildungswissenschaften und Berufspädagogik, über Hochschulmanagement und Wissenschaftsmarketing. Daraus entstand ein theoretischer Rahmen, der den Strukturwandel der Gesellschaft und die Transformation von Arbeit in der Wissensgesellschaft mit dem Paradigmenwechsel an Hochschulen, resultierend aus dem Bologna-Kontext, verknüpft. Methodisch verfolgte ich zwei Zugänge: über empirisch-qualitative Inhaltsanalysen und quantitative Dokumentenauswertungen. Diese beiden Methoden wurden mit einer originär-empirischen Analyse über explorative Experten-Interviews korreliert. 

Die Triangulation der Untersuchungsmethoden zeigte deutlich die innere Zerrissenheit zwischen den verschiedenen „Wirklichkeiten“ von Employability: Die normative Wirklichkeit in offiziellen Hochschuldokumenten einerseits gibt eine klare Zielorientierung vor. Die subjektiv erfahrene Wirklichkeit von Lehrenden in ihren Fakultäten dagegen lässt die zahlreichen Umsetzungsprobleme und Stolpersteine erkennen. Ebenso besteht zwischen der debattierten Wirklichkeit in den Fachdomänen und der statistisch erfassten Wirklichkeit der AbsolventInnen in der Arbeitswelt ein Unterschied wie Tag und Nacht. So wird in der Designdomäne stillschweigend vorausgesetzt, dass der akademische Nachwuchs bestens auf die gewandelte Arbeitswelt vorbereitet ist. Dem gegenüber stehen die große Unsicherheit und die vielen prekären Einkommensverhältnisse von jungen Kreativen. Interdisziplinäres Vorgehen und mehrmethodisches Forschen sind in mancher Hinsicht unbequem, aber sie sind erkenntnisreich. Und das sollte eigentlich wissenschaftliches Arbeiten beflügeln … 

Bildquelle: John Foxx Images