Schluss mit lustig!

Wenn über dem FAZ-Artikel steht: „Routine ist der Feind der Kreativität“ ist wohl eine Form der Alltagskreativität gemeint, bei der eher kleinere, also überschaubare Probleme zu lösen sind. Dieses Verständnis von Kreativität lässt sich nach meiner Erfahrung nicht auf Projekte übertragen, die Millionen an Investitionen zur Folge haben. Auch kann man davon ausgehen, dass derartige Vorhaben sehr nur bedingt mit Routinen zu tun haben. In der Regel sind komplexe Projekte auch strukturelle Unikate, denen zusätzlich noch komplizierte Regelwerke und fast immer schwierige soziale Prozesse zugrunde liegen. 

Ein Beispiel: In den 1990er Jahren arbeitete ich in einem europaweit tätigen Verbund von Unternehmensberatungen und Industrieplanern, verantwortete den Aufbau eines Start-ups und war Projektleiter für den Erweiterungsbau der Zentrale in Deutschland. Als Architekten konnten wir das Büro Sir Norman Foster & Partners aus London gewinnen. Vor der verbindlichen Entscheidung konfrontierte uns das Londoner Team mit einem völlig neuen Entwurf. Überrascht besprachen wir den neuen Entwurf und kamen zu dem Schluss, dass wir mit der bisherigen Planung richtig lagen. Was Fosters Architekten machten, war professionell, weil sie die Millioneninvestition für den Bau zusätzlich absicherten, um eine Fehlplanung und Fehlinvestition zu vermeiden.

Ich denke, es wird höchste Zeit, dass wir uns in Deutschland über ein Verständnis von Kreativität unterhalten, deren Professionalität auf einem „Complex Problem Solving“ basiert und sich deutlich zur Alltags- und künstlerischen Kreativität abgrenzt. Nehmen wir das Thema Transformation ernst, brauchen wir dringend eine kompetente Kreativität, die mit hohen Investitionen und politischer Verantwortung für eine neue Zukunftsgestaltung umgehen kann. 

Komplexe Projekte, Prozesse und Programme brauchen eine andere professionelle Kreativität wie die (im FAZ-Artikel beschriebene) Kreativität für die Illustration von Kinderbüchern. Auch gehen die Fähigkeiten der Kreativen weit über die Moderation mit Kreativtechniken oder von Workshops hinaus. Ja, es macht großen Spaß, wenn man mit Studierenden kreative Aufgaben bearbeitet. Allerdings hat das nichts mit Problemstellungen zu tun, in denen Menschen für das Neue mit großen Investitionsvolumina Verantwortung tragen, die scheitern können und an denen auch ihre persönliche Karriere hängt. Ein Kompendium über Kreativität zu schreiben ist eine große Leistung. Sie erreicht aber nicht die Dimension von Herausforderungen, die mit weitreichenden Investitionsentscheidungen zur Gestaltung verbunden sind. Genau in diesen Kontext passt die Forderung, dass gerade das Management die passende Umwelt für Kreative schaffen müssen. Aber hier mangelt es vielerorts an erforderlichen Führungskräften mit der entsprechenden Kompetenz.

Kreativität ist viel zu wichtig, um sie dem Feuilleton allein als Buzz Word zu überlassen – Schluss mit lustig!

https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/besser-denken-im-beruf-routine-ist-der-feind-der-kreativitaet-19755604.html

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