Nachhaltigkeit: Spät, hoffentlich nicht zu spät

Man könnte es in das schicksalhafte Rubrum der Niederlagen einreihen. Vor gut 15 Jahren habe ich mich auf eine Professur für Industrial Design beworben und wurde zu meiner Freude eingeladen, mich und mein Konzept vorzustellen. Auf der Kandidaten-Liste landete ich leider nur auf Platz 3. Besser als Deutschlands Beiträge zum ESC, aber eben kein Grund, um die Sektkorken knallen zu lassen. Wie üblich gab es keine Begründung. Allerdings vermute ich, dass ich die Hochschule mit meinen Vorstellungen zur Entwicklung der Design-Disziplin überfordert habe. War ich doch der Auffassung, dass das Design nicht länger Reparaturbetrieb der Industriegesellschaft sein durfte, sondern sich als Thinktank in der stark veränderten Wertegesellschaft positionieren müsste. Dies sah ich eingebettet in einen herausfordernden Paradigmenwechsel, der das Produzieren von Gütern drastisch verändern würde. 

Darüber hinaus war es für mich absehbar, dass der globale Kapitalismus und auch unsere Form der sozialen Marktwirtschaft ein neues Regelwerk bräuchten. Der Aufwand an Ressourcen für Innovationen stieg, die Produktlebenszyklen verkürzten sich und der Berg an Wohlstandsschrott wuchs unaufhörlich. Und was „The next big Thing“ sein würde, war fürs Design immer schwieriger zu imaginieren. Aus der Verantwortungsethik der Kreativen in Wirtschaft und Wissenschaft – so meine Argumentation – müsste sich zwangsläufig eigentlich die Entwicklung zu einem Sustainability Design ergeben, sogar aufdrängen. Im Übrigen war wenige Jahre vorher das Buch von M. Braungart und W. McDonough mit ihrem Cradle-to-cradle-Konzept erschienen und wurde in den Medien breit rezipiert. 

Alles in allem war die Zeit reif für die Reset-Taste im Industrial Design. Zweifellos wird die Hochschule ihre guten Gründe gehabt haben, einem anderen Bewerber mit einem divergierenden inhaltlichen Schwerpunkt den Vorzug zu geben. Doch im Nachhinein wird deutlich, dass das Design an den Hochschulen von einer dezidierten Priorisierung des Sustainability Ansatzes profitiert hätte. Deswegen ist es umso erfreulicher, wenn sich inzwischen andere Wissenschaftsdisziplinen aufgemacht und neue Studiengänge zur Kreislaufwirtschaft entwickelt haben. Neben dem Druck nach einem entsprechenden Angebot durch die „Generation Greta“ wird sicherlich auch ein breiteres, aktualisiertes Design-Verständnis in der Öffentlichkeit dafür gesorgt haben. 

Design wird heute stärker im wissenschaftlich-technischen Kontext mit planerischen und digitalisierten Kompetenzen assoziiert. Gerade in der Transformation zur Kreislaufwirtschaft braucht es komplex denkende Menschen, die Ökonomie und Ökologie als ein und dieselbe Sache verstehen. Ja, natürlich wird in diesem Umbruch auch das Thema der Ästhetik von Produkten und ihres Gebrauchs neu verhandelt werden. Insofern wird das Design hier seine Zuständigkeit noch anmelden müssen. Spät, aber hoffentlich nicht zu spät …

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Bildquelle: PhotoAlto (James Hardy)