Der Letzte macht das Licht aus?!

Nach dem Lesen dieses Artikels dachte ich, eigentlich kannst du nur die Tür abschließen und den Schlüssel auf eine Müllkippe werfen, so dass ihn keiner findet. Wenn die sieben Autoren des HB-Features über den Fitness-Zustand der Bundesrepublik ein Zeugnis ausstellen müssten, wäre eine einzige 5 als Note schon ein Grund zum Feiern – alle anderen Leistungen sind nämlich mit 6 bewertet. Und wenn ich Aktien von der Deutschland-AG besäße, müsste ich die jetzt gegen ein paar Glasperlen eintauschen.

„Unternehmen, Politik, Verwaltung: Warum immer weniger Menschen Lust haben, sich richtig anzustrengen – und was das mit unserem Land macht.“ Das ist nichts anderes als eine fette Klatsche für die sogenannten deutschen Tugenden. Wie lauteten die noch? Ach ja, Beständigkeit und Zuverlässigkeit, Treue und Ehrlichkeit, Mut und Tapferkeit, Gehorsam und Selbstdisziplin, Fleiß und Qualität. Wenn in der Wirtschaft propagiert wird, dass nichts beständiger als der Wandel ist, was willst du dann mit Beständigkeit? Wenn selbst die Deutsche Bahn fast täglich kommentarlos an Zuverlässigkeit verliert, scheint diese auch keine Relevanz mehr zu haben. Treue? Ja, die gibt es im Supermarkt und heißt Treuerabatt. Und dort finden sich auch Beispiele für Ehrlichkeit – sie heißen Skimpflation und Shrinkflation.
Tja, mit den deutschen Tugenden übersteht man nicht einmal mehr die Vorrunde in einem Fußball-Turnier …

Wenn eine Wirtschaftszeitung wie das Handelsblatt unser Land kritisch beleuchtet und zu einem vernichtenden Urteil kommt – siehe Headline: „Willkommen in der Null-Bock-Nation!“, dann sollte unsere Gesellschaft ins Grübeln kommen. Interessant ist, dass sich im Grunde kein Mensch direkt angesprochen fühlt. Jeder meint, dass das genau so ist, sieht aber immer die anderen. Nie reicht es in irgendeiner Form zur Selbstkritik. Ich denke, dass einige der berühmten „Opinion Leader“ und Multiplikatoren hier durchaus den Anfang machen könnten. So beispielsweise die Wirtschaft mit: Wir haben uns zu lange auf unseren Lorbeeren ausgeruht. Oder die Politik: Als Entscheidungsträger der drittgrößten Volkswirtschaft geben wir ein zweifelhaftes Bild ab. Die Kirche konstatiert selbstkritisch: Wir haben den Kontakt zu den Menschen verloren.
Keinem würde dabei ein Zacken aus der Krone brechen!

Was aber auch in dem Artikel deutlich wird: es fehlt das Wir-Gen! Offenbar hat man in Deutschland keinen Spaß mehr an der Gemeinsamkeit. Es gilt: „Weil ich es mir wert bin“. Ob die Werbung mit dafür gesorgt hat, dass es in unserem Land nur so von EinzelkämpferInnen wimmelt oder ob es ein großer Plan war („Teile und herrsche!“), weiß ich nicht. Aber sich als Teil von etwas zu begreifen und nicht immer als Mittelpunkt, scheint schwierig zu sein. Dabei braucht eine Transformation das ambitionierte Arbeiten, das lustvolle Lernen und eine Politik mit Perspektive.
Andernfalls heißt es: Der Letzte macht das Licht aus!

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/deutschland-willkommen-in-der-null-bock-nation/100038625.html

Bildquelle: Eigenes Bild