Projektstudium: Gendern ohne Kalauer, gegen Klischees

Der Fortschritt ist eine humpelnde Schnecke am holpernden Rollator! Günter Grass, entschuldige bitte, dass ich dieses Bonmot so verballhorne. Aber anders kann ich mein Unverständnis über ein konstant sich haltendes Klischee nicht mehr zum Ausdruck bringen.

Seit Jahren höre und lese ich immer wieder, wie blödsinnig im Grunde diese Differenzierung von Spielzeug ist. Wir regen uns über ein harmloses Gendersternchen auf, als würde man der deutschen Sprache finale Gewalt antun. Aber an die rosafarbenen und hellblauen Schubladen für Mädchen und Jungs haben wir uns als Gesellschaft offenbar gewöhnt. Auch wenn wir längst wissen, dass wir hiermit den Kindern keinen Gefallen tun, erziehen wir weiter unsere “Frozen-Prinzessinnen“ und unsere “Bob der Baumeister“-Buben.

Wie will diese Gesellschaft eine Transformation mit grundlegenden Innovationen hinlegen, wenn sie im Kopf immer noch total retro orientiert ist? Oder denken wir etwa, es handelt sich nur um technische Innovationen und die werden unsere Männer, natürlich alles Ingenieure, schon entwickeln? Während derweil die EinkäuferInnen für Spielzeug wieder das in China einkaufen, was schon letztes Jahr gut lief. Und die Chinesen produzieren auch nur das, was sich in der Vergangenheit gut verkaufen ließ. Und die DesignerInnen machen auch nur das, was sie schon immer gemacht haben, weil der Kunde es so will. Und die Eltern? Ach ja, die kaufen dieses Jahr (2021) „mehr desselben“ (Watzlawick), weil sie wegen des Lockdowns ihren Kindern gegenüber ein schlechtes Gewissen haben. So werden am Heiligen Abend ganz unheilig wieder neue ökonomische und ökologische Unsinnigkeiten veranstaltet, damit die geliebten Kleinen am nächsten Morgen verkatert von der Überforderung sich dem Ernst des Lebens stellen. Und weil das auch im nächsten Jahr wieder so sein wird, wird es neue Forschungsprojekte geben, die wieder konzedieren, dass dieses geschlechtsspezifische Kinderspielzeug immer noch falsch ist. Wie schade, dass man dieses Adjektiv nicht steigern kann … Trotzdem meinen Dank an Kathrin Werner für diesen Essay, der einmal mehr zeigt, wir groß unser Nachholbedarf an sozialem Fortschritt ist!

Wider der Klischees
Wie verbindet man Theorie und Praxis, Lehre und Forschung, Kreativität und Strategie, Begeisterung und Systematik? Nun, indem eine Pflicht zur Kür wird – mit eigenem Forschungsinteresse und selbst gesetzten Zielen. In vielen Disziplinen sind zwar Klausuren und Hausarbeiten bewährte Instrumente, um erlerntes Wissen zu überprüfen. Wenn es aber darum geht, Kreativität zu entwickeln, eigene Strategien zu entwerfen, dann ist der didaktische Ansatz des „Forschenden Lernens“ häufig die bessere Alternative. Wird doch gleichzeitig auch das individuelle Handlungsrepertoire im Kontext der genuinen Problemlösungskompetenz gefördert. Ein Beispiel hierfür ist das Modul „Produktgestaltung“. Die Studierenden lernen in dieser Pflichtveranstaltung ihren gestalterisch-intellektuellen Freiraum spielerisch zu interpretieren und auszufüllen. In einem aktuellen Thema verbindet sich die Theorie der Professionalität mit der gesellschaftlichen Relevanz von Praxis. Im WS 2015-16 standen die Prinzipien gestalterischer Ästhetik und das Konstrukt des gendersensiblen Designs im Vordergrund. Die Studierenden übertrugen das theoretisch Gelernte experimentell auf Objekte des täglichen Lebens. Der thematische Schwerpunkt lautete „Genderorientierte Gestaltung für differenzierte Typen von Männern bzw. Frauen“. Zu gestalten war ein technisches Alltagsprodukt – allerdings entgegengesetzt der Konnotation des üblichen Verständnisses: d.h. für einen spezifischen Frauen-Typus war ein männlich konnotiertes Produkt und für einen Männer-Typus ein weiblich konnotiertes Produkt zu entwerfen. Nicht einfach, denn der Studierende muss sich seinen eigenen und gesellschaftlichen „Vorurteilen“ stellen. Erst dann kann er an der Oberfläche kratzen und verborgene Bedeutungen von Produktgestaltung entschlüsseln, um dem Konventionellen etwas „Neues“ entgegen zu setzen. Für die Studierenden ergaben sich so interessante Zugänge zur Gestaltung. Bei der Abschlusspräsentation, die auch vor der Lokalpresse (Soester Anzeiger) stattfand, ernteten sie hohe Aufmerksamkeit.

„Gender Design“ und „Gender Marketing“ sind aktuelle Ausprägungen der Gestaltungs- und Managementdisziplinen. Sie gehen davon aus, dass sich jeder Mensch unserer heutigen Gesellschaft – ob Mann oder Frau – einer Vielfalt von Lebenskonzepten gegenübersieht. Die Entscheidung für eine individuelle Lebenswelt wird aber durch den Einzelnen nicht völlig frei getroffen. Vielmehr gibt es soziokulturelle und biologische Einflussfaktoren, die das jeweilige Bild von Mann oder Frau mitprägen. Die Unterscheidung von „sex“ als biologisches Geschlecht und „gender“ als soziale Rollenvorstellung der Geschlechter ist hierbei von enormer Bedeutung. Macht sie doch klar, dass es einen fließenden Übergang von biologisch bedingten zu sozial konstruierten Unterschieden gibt. Wo das eine aufhört und das andere anfängt, ist vielfach noch zu erkunden. Eines aber steht fest: Es gibt weder die völlige Gleichheit der Geschlechter, noch in Stein gemeißelte Stereotypen von Mann und Frau!

Gender Design jenseits altbackener und bekannter Kalauer
Alle Lebensbereiche lassen sich unter dem genderorientierten Blickwinkel neu vermessen – von Erziehung und Bildung über das Arbeitsleben bis zur Konsumwelt. Gerade letzteres beschäftigt sowohl Design, als auch Marketing. Das Ziel, Produktangebote zu verbessern und auf Kundenbedürfnisse frühzeitig zu reagieren, verbindet beide Disziplinen. Als Gender Design und Gender Marketing lenken sie den Blick der Unternehmen auf ein lang vernachlässigtes Untersuchungsgebiet: auf die Geschlechterperspektive als wesentlichen Wahrnehmungsfilter des Kunden / der Kundin. Die konsum-psychologischen Auswirkungen rücken damit in den Fokus: Wie sehen ästhetische Vorlieben von Mann und Frau aus? Wie unterscheiden sich Verpackungspräferenzen? Oder das Einkaufsverhalten generell? In welchen Produktwelten fühlen sich Mann oder Frau zuhause? Neuere wissenschaftliche Untersuchungen zeigen so manche verblüffende Erkenntnis auf – jenseits der altbackenen Klischees und bekannten Kalauer! Nicht zufällig begeistert z.B. der Akkuschrauber Bosch Ixo gerade Frauen – obwohl er ein typisch männlich konnotiertes Produkt ist. Und der Dyson-Staubsauger hat Hausarbeit auch für Männer salonfähig gemacht.

Die Zeit ist reif für Gender Design und Gender Marketing!
Gender Design und Marketing gehen auf den Kunden bzw. die Kundin mit neuer Offenheit und geschärfter Wahrnehmung zu. Der genderprägende Kontext wird erfasst und dessen Bedeutung für das wirtschaftliche Handeln des Einzelnen reflektiert – mit dem Ziel, eine neue Einschätzung auf die Bedürfnisse der hochdifferenzierten Zielgruppen zu gewinnen. Mangelnde Empathie für Kundenwünsche und unprofessionelles Designmanagement können sich Unternehmen heute nicht mehr erlauben. Design (als Produktgestaltung, Verpackung, Kommunikation etc.) erreicht physisch ganz direkt den Sinnesapparat der männlichen oder weiblichen Rezipienten. Es „kommuniziert“ unmittelbar-sinnlich auf den verschiedenen Wahrnehmungsebenen des Menschen. Es entscheidet sich so enorm schnell, ob die individuelle, genderbeeinflusste Erwartung erfüllt wird und in Kaufinteresse übergeht. Top oder Flop stehen hier zur Wahl. Denn bleibt es (wie bisher oft noch) bei einem Design aus der „androzentrischen“* Perspektive, wird die Chance vertan, gendersensible Produkte mit neuen Nutzenangeboten für einen weit größeren Kundenkreis als bisher anzubieten. Die Zeit ist also reif für Gender Design und Marketing!

* „Androzentrismus: Fachausdruck der Geschlechterforschung für die dominant männliche Sichtweise, die gleichzeitig auch die gesellschaftliche Normierung von Werten, Wahrnehmungen, Verhalten und Wünschen unbewusst prägt.“ (Eva Kreienkamp 2009, 60)

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