Ist der Flohmarkt das bessere Designstudium?

Wenn ich Wissenschaftsminister wäre und würde den FAZ-Artikel lesen, dann würde ich das akademische Design beenden und daraus einen Handwerksberuf machen. Die französische Designerin Inga Sempé erzählt, dass sie ursprünglich nicht zur Hochschule wollte mit der Begründung: „Statt an Objekten zu arbeiten, sei vor allem darüber geredet worden“. Dann hätte sie es sich aber anders überlegt, „vor allem wegen der Werkstätten“. Na dann, könnte man sich doch das Geld für das künstlerisch-wissenschaftliche Designstudium sparen und besser in Studiengänge stecken, die die gesellschaftlich notwendige Transformation unterstützen. Und wenn schon der Besuch von Pariser Flohmärkten gleichwertig mit einer Designausbildung (!) erscheint, dann gibt es offenbar keinen Grund, Design als akademische Bildung anzubieten.

Offen gestanden, ich habe mich lange gefragt, ob ich diesen Bericht über diese Designerin überhaupt kommentieren soll. Im Grunde sind solche Artikel fürs Design peinlich, vor allem, wenn am Ende auch noch platt akquiriert wird. 

Wenn Sempé betont, dass sie keine „Bücher über Design lese“ und wohl auch nichts über Designgeschichte und die historisch relevanten Leistungen der „Ach so großen Meister“ weiß, dann zeugt das von einem ahistorischen Designverständnis. Als Designwissenschaftler sträuben sich mir dabei die Nackenhaare, sollte sich doch ein Profi in seiner Domäne verorten können. Hinzu kommt, dass Designgeschichte selten nur auf das Thema der Genie-Ästhetik fokussiert ist, sondern auch immer an Gesellschafts- und Kulturgeschichte, aber auch an Technik- und Wirtschaftshistorie geknüpft ist. Nur wer seine Vergangenheit kennt, kann seine eigene und die Zukunft anderer Menschen gestalten – zumindest mein Credo.

Zu meinem Credo gehört auch, dass das Design innovativ sein sollte und in seinen Voraussetzungen deshalb wissensintensiv ist. Wenn mir Studierende erzählen würden, dass sie ihre Recherchen in ihrem Designprojekt ausschließlich auf Ebay durchführten, könnte ich meine Fassungslosigkeit kaum verbergen. Zitat: „Da findet sie alle existierenden Varianten eines Dings, nicht nur die Exemplare, die es in die Designbücher geschafft haben.“ Tja, …

In diesen Kontext passt auch das Desinteresse von Inga Sempé an „Urteilen“ von Fach-KollegInnen zu bestimmten Designs. Selbstverständlich muss man diese nicht teilen, aber man sollte schon den herrschenden Diskurs und dessen Argumentation kennen, auch um den State-of-the-Art in der eigenen Szene beurteilen zu können.

Zudem halte ich ihre Äußerung „Man muss die Herstellungsprozesse verstehen“ für völlig unzureichend. DesignerInnen müssen heute auch die vorgelagerten Planungsprozesse, die Nutzungs- und vor allem die Entsorgungsprozesse kennen oder sogar können. 

Mag sein, dass Sempé das Interview eher als Small Talk verstanden hat. Allerdings hat sie nach meinem Verständnis dem Design damit einen Bärendienst erwiesen.

https://www.faz.net/aktuell/stil/mode-design/frankreichs-bekannteste-gestalterin-zu-besuch-bei-inga-sempe-19633300.html

Bildquelle: Eigenes Bild