Moralisches Selbstverständnis, marktwirtschaftliches Selbstbewusstsein

Stell dir vor: Dein Antrag auf Gehaltserhöhung wird abgelehnt! Und dass trotz deines Hinweises auf den sinkenden Reallohn. Natürlich kannst du einfach weitermachen und hoffen, dass dein Boss doch zur Einsicht kommt. Oder du suchst dir einen neuen Job, was Zeit kostet, riskant und unbequem ist. Du kannst aber auch entsprechend deiner angepeilten Gehaltserhöhung langsamer und damit weniger arbeiten. Oder du fängst an schlechter in deinem Job zu werden, weil du Abstriche an der Qualität deiner Leistung machst. Wenn dein Boss seinen Job richtig gut kann, wird er es bemerken und du bekommst ein ernsthaftes Problem mit ihm. Und in der Regel sitzt der Arbeitgeber am längeren Hebel …

Wenn auch mit vertauschten Machtpositionen geht es so seit einiger Zeit in Supermärkten und Discountern zu, wo die Kundschaft durch verkleinerte Verpackungen und durch verminderte Qualität mit mehr oder weniger deutlichen Preiserhöhungen konfrontiert wird. In der Hektik ihres Alltags merken viele KäuferInnen das nicht sofort, so dass sie die Chance, ein anderes Produkt zu wählen, nicht nutzen. Aber es gibt in Deutschland aufmerksame Verbraucherschutz-Institutionen. Diese kritischen Marktbeobachter haben für dieses Verhalten auch gleich zwei Fachausdrücke parat: Shrinkflation für kleinere Packungen mit weniger Inhalt und Skimpflation für gleich groß gebliebene Packungen mit reduzierter Qualität. Selbst wenn man den herstellenden Unternehmen tatsächlich gestiegene Kosten unterstellt, haftet ihnen doch ein ethisch zweifelhaftes Image an. Und im Kontext exorbitanter Gewinne von Großkonzernen (z.B. Big Oil), drängt sich die Frage auf, ob hier klammheimlich unsere „Soziale Marktwirtschaft“ das Soziale einbüßt?

Wenn Menschen auf Dauer miteinander Geschäfte machen wollen, gilt der alte Grundsatz „Geschäfte müssen immer beiden Spaß machen!“ Andernfalls verlässt einer der beiden Partner die Beziehung. Ich denke, dass gerade Markenprodukte nicht die Strategie der versteckten Preiserhöhungen fahren, sondern mehr marktwirtschaftliches Selbstbewusstsein und moralisches Selbstverständnis haben sollten. Wenn Marke und Management ihrer eigenen Integrität vertrauen, sind sie bereit zu einem öffentlichen, offenen und fairen Interessensabgleich. Wenn nicht, schenke ich als Kunde meine Zuneigung einer anderen Marke. Als Unternehmen allerdings sollte ich mich daran erinnern, dass die Gewinnung eines Neukunden immer teurer ist als die Pflege eines Altkunden. 

Es ist nicht nur die deutsche Empörungslust, wenn immer lauter von Gierflation die Rede ist. Und ganz sicher hat auf Unternehmensseite der Reiz der Renditen seine Grenzen, wenn das gegenseitige Vertrauen zwischen Kunde und Marke in Gefahr gerät. Unternehmen sollten ihre Machtpositionen nicht überreizen, sondern im beiderseitigen Interesse ausbalancieren.

https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/geld-versicherungen/gierflation-bereichern-sich-konzerne-auf-kosten-der-verbraucherinnen-89083

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