Die Freiheit des Denkens und die Pflicht zum Disput

Wenn man mich heute fragen würde, welchen Beruf ich anstrebe, würde ich antworten: Bundespräsident! Und zwar wegen der Möglichkeit, sich völlig unabhängig und überparteilich politisch äußern zu können. Ohne Parteibuch und bei niemandem auf der Payroll stehend, kann man sich aus einer neutralen Position dezidiert kritisch äußern, ohne Rücksicht auf Mehrheiten oder eine Parteidisziplin. Ja, dem einen oder anderen würde man auch schon einmal auf den Füßen stehen, aber eine Demokratie ist kein Ponyhof. Das Amt des Bundespräsidenten ist als Staatsoberhaupt prädestiniert für das Outside-the-box-thinking. Vielleicht bin ich deshalb von unserem aktuellen politischen „Vorturner“ enttäuscht, weil der nach meinem Verständnis von seinen Freiheiten zu wenig Gebrauch macht. Mir fehlen die politischen Diskurse, die weit über die tagespolitischen Ereignisse hinausgehen.

Als emeritierter Professor kann ich mich kritisch zu Design und Kreativität, Innovation und Marke im Kontext von Wirtschaft äußern, da ich frei von Verträgen oder sonstigen Abhängigkeiten bin. Auch muss ich nicht akquirieren, was mir die „Aufbrezelei“ meiner Kompetenz erspart. Dabei hat meine Kritik immer wieder vernetzende Elemente zur Konsum- und Kulturkritik bis hin zur Gesellschaftskritik. Kritik negiert nicht nur, sondern hat auch ihre konstruktive Seite. Vor allem wenn Annahmen formuliert werden, die ein Zukunftsbild zur Diskussion stellen und zum Disput motivieren. So zum Beispiel zum Markenkonstrukt: 

Von Unten nach Oben:
Ist die Markenthematik Chefsache? Wenn vom Erfolg der Marke die Zukunft des Unternehmens abhängt, eindeutig ja! Wird sich die Marke neu erfinden? Wenn sie ihre Berechtigung auch in der Transformation erhalten will, eindeutig ja! Werden neue Paradigmen das Geschäftsmodell verändern? Eindeutig ja, wenn man die Zeichen der Zeit verstehen und nicht ignorieren will. Die Idee der Marke wird nicht auf der operativen Ebene durch schleichendes oder „evolutionäres“ Re-Design überleben, sondern muss in der normativen Dimension von Unternehmensführung neu interpretiert und auf der strategischen Ebene mit disruptiven Innovationen umgesetzt werden. 

Von linear zu systemisch:
Macht es überhaupt noch Sinn, immer wieder neue Produkte zu ersinnen? Einerseits im Namen der vermeintlichen Kundenbedürfnisse und andererseits aufgrund der technologischen Optionalität? Wir müssen über das bequeme lineare Denken hinauskommen und uns der global-systemischen Komplexität stellen. Ein Unternehmensbeispiel ist Patagonia. Es kombiniert Produktinnovation mit Kundenorientierung und das in gesellschaftlich-ökologischer Verantwortung. Es nimmt die systemische Vernetzung wahr und akzeptiert Marktzwänge nicht als gottgegeben. Markenmanagement heißt, den Wandel der Welt zu antizipieren. Weniger wehmütig in die Vergangenheit schauen, als mutig und demütig die Gestaltung der Zukunft angehen!

https://stadtbibliothek.dornbirn.at/veranstaltung/2023-11-16-verantwortung-konsum-markenmacht-und-moral-zwischen-profit-und-nachhaltigkeit

Bildquelle: Eigenes Bild